Situation

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Situation Konstellation Einzelnes.png

Übersetzungen:

  • chin. 無 (wu), jap. 無 (mu), häufig übersetzt mit "Nichts" (siehe Skizze);
  • 情 (jap. jou; chin: qíng)

Synonyme:

  • Heidegger: Verweisungszusammenhang, Bewandtnisganzheit
  • Merleau-Ponty: Bedeutungseinheit

Situation, Subjekt, Objekt

Situation2.png

  • Es gibt häufig die Tendenz, sich auf die Subjekt-Objekt-Achse zu fokussieren (Subjekt-/Objekt-Philosophie)
  • Der Fokus auf die Situation erlaubt es, das strukturelle Problem überhaupt erst zu erkennen und dann lösen zu können. (Beispiel bei Max Wertheimer: Einsteins Entdeckung der Relativitätstheorie)

Definition

Situationen sind die grundlegenden Gegenstände, in und aus denen Menschen leben. (S-LU 38)

Situationen sind die Grundgegebenheiten des In-der-Welt-seins, ... (S-JdN 42)

Siehe: Situationsontologie

Eine Situation (auch: topisches Feld) ist

  • ganzheitlich, d.h. nach außen abgehoben und in sich zusammengehalten. Die Ganzheit der Situationen geht also der Einzelheit oder numerischen Einheit grundsätzlich vor.
  • bedeutsam, d.h. sie wird durch eine Bedeutsamkeit zusammengehalten, welche aus Bedeutungen besteht.
  • binnendiffus, d.h. in ihr ist nicht alles (eventuell gar nichts) einzeln.

Der Mensch behauptet sich in seiner Umgebung, indem er Situationen als Konstellationen einzelner Faktoren rekonstruiert, ohne die Bedeutsamkeit der Situationen dadurch ausschöpfen zu können; die Rekonstruktion bleibt ein probierendes Anfassen.

Alle Wahrnehmung ist Wahrnehmung von Situationen. (S-JdN 42)

Situationen (nicht notwendig einzelne) sind die Urgegenstände, die Menschen wie Tieren begegnen und aus denen sich für Menschen Einzelnes (erst von Bedeutungen, daraufhin von Sachen anderer Art) abzeichnet. (S-DWdePh 221f)

Situationen sind die Grundgegebenheiten des In-der-Welt-seins, wie Heidegger sagen würde, sowohl des leiblichen Zutunhabens mit etwas in Wahrnehmung und Bewegung als auch in allen Weisen besonnenen Umgangs. Schon jede zweckmäßig geführte Körperbewegung ist eine Situation. (S-JdN 42)

Ganzheit der Situation

Abgehobenheit

  • so abgehoben, dass man es mit einem Schlage innehat, und schlagartig wieder identifizieren kann, ohne verschwimmende Ränder
  • nicht zu verwechseln mit der Geschlossenheit eines Systems

Zusammenhalt

  • diffuser Zusammenhalt im Inneren durch Bedeutsamkeit

Vgl: Mannigfaltigkeit und 道: dou, dào

Binnendifussion

Erst diese Binnendifussion aber gibt den Situationen die Schmiegsamkeit, die zum Gelingen des In-der-Welt-seins erforderlich ist. (S-HuH 384)

Subjekt- und Situationsorientierung

Im Umgang mit einer Situation kann es widerstrebende Interessen und Orientierungen geben, die sich gegenseitig blockieren:

  • Subjektorientierte Ziele: Bedürfnisse einer Person. Das Ich spielt eine dominante Rolle.
  • Situationsorientierte Ziele: strukturelle Aufgaben der Situation. Das Ich spielt keine dominante Rolle.

Die Kräfte in der Situation können von zweierlei Art sein.

  • In vielen Beispielen ist es die strukturelle Natur der sachlichen Situation, die die Vektoren und Schritte wesentlich bestimmt, während das Ich und seine persönlichen Interessen und Strebungen nur eine geringe Rolle oder gar keine spielen. Wenn konkrete Ich-Tendenzen in das Bild kommen, wirken sie oft verwirrend.
  • Es gibt andere Fälle, in denen persönliche Bedürfnisse die Quelle des Problems sind. Hier spielt das Ich eine bedeutsame Rolle. (MW-PD 228)

Situation, Atmosphäre, Gefühl

Situationen werden fast immer von gefühlsträchtigen Atmosphären durchzogen. (Vgl: S-WNP 248)

Nur nicht in Gefahrensituationen, in denen der Schreck und der Bedarf sofortiger Reaktion das Fühlen blockieren. (Vgl: S-WNP 249)

Situationen sind meist durchzogen von Gefühlen. (Vgl: S-DzB 24)

Situation und Leib

Situation Leib.png

Situation und Sprache

Das vortheoretische Weltverständnis ist wesentlich sprachvergessen. (WH-RL 84)

Anbindung von Situationen

Ohne dingliche Anbindung

Eindrücke können als bloße Atmosphären ohne dingliche Anbindung gleichsam in der Luft liegen, etwas als Atmosphäre diffusen Misstrauens in der Wahnstimmung beginnender Schizophrenie, oder wenn jemand unter besonderen Umständen merkt, dass irgend etwas nicht stimmt, ohne dahinterzukommen - ich zitiere zum Beleg gern die Verse, die in Goethes Faust Margarete spricht, als sie in ihrer Stube kommt, in der gerade, ohne dass sie es ahnt, der Teufel gewesen ist -, oder als die Katastrophenstimmung in schwüler Tropenhitze, von der im vorigen Jahrhundert der polnischer Schriftsteller Sinkiewicz aus einem Spital in Sansibar berichtet. (S-LGK 12)

Mit dinglicher Anbindung

Meist aber haften Eindrücke an Dingen oder Halbdingen oder deren Konstellationen. (S-LGK 12)

Wenn es eine dingliche Anbindung gibt, dann müssten Situationen und Gefühle genau so objektiv sein, wie die Dinge, an denen sie anhaften. Siehe dazu: Objektivität der Gefühle

Beispiele

Situationen sind alle motorischen Kompetenzen und ihre Ausübung, also jede zweckmäßig, unwillkürlich oder willkürlich, geführte freie Gliederbewegung, z.B. beim Kauen fester Nahrung, beim Sprechen oder bei der Abwehr von Gefahren. In allen solchen Fällen wird vieles verstanden (Sachverhalte), vorgenommen (Programme), ohne dass mehr als weniges davon einzeln bewusst wird (gar nichts bei ganz unwillkürlichem Tun.) (S-KE 47f)

Wer z.B. auf regennasser, dicht befahrener Straße durch geschicktes Ausweichen, Bremsen oder Beschleunigen des Autos einen drohenden Unfall entkommt, hat die relevanten Sachverhalte,

  • die Probleme des zunächst drohenden Zusammenstoßes und der bei Ausweichen eventuell hinzukommenden Bedrohungen ähnlicher Art und
  • die Programme möglicher Rettung

mit einem Schlag (in antagonistischer Einleibung) erfasst und auch schon zweckmäßig beantwortet, ohne zur Vereinzelung dieser Bedeutungen Zeit zu haben, außer allenfalls bei einem schmalen Teil davon. In solchen Fällen präsentiert sich die ganze Bedeutsamkeit der Situation auf einen Schlag. (S-KE 48)

Beispiele für vielsagende Eindrücke (impressive Situationen), die an leiblich spürbaren Kräften abgelesen werden und ordnend das Weltgeschehen durchziehen:

Anaximenes Straffe Schlaffe
Parmenides das Flinke das Schwerfällig-Sperrige
Pyhtagoreer das Unruhige, Vielfältige das Beharrende, Gerade
Empedokles Liebe (als Freude und Aphrodite in den Gliedern der Sterblichen) Streit

Unterscheidungen

  • nach der augenblicklichen Gegebenheit: impressiv - segmentiert
  • nach dem zeitlichen Verlauf: aktuell - zuständlich

impressiv

  • vielsagende Eindrücke (-> gewöhnlich aktuelle Situtionen): kommen schon im Augenblick mit ihrer integrierenden Bedeutsamkeit ganz zum Vorschein
  • Bsp: Gefahrensituationen, die man ganzheitlich erfassen und mit einem Schlage treffend beantworten muss

segmentiert

  • kommt nicht im Augenblick mit ihrer integrierenden Bedeutsamkeit ganz zum Vorschein
  • können sich zu impressiven zusammenziehen, von denen sie plakatiert werden (Plakat-Situationen), also der vielsagende "erste Eindruck".
    • Plakat-Situation (kann über nächstere trügen)
    • plakatierten Situation

Siehe: Plakatierung

aktuell

  • wenn sich dieser Verlauf in beliebig dicht gesetzten Querschnitten auf Veränderungen prüfen lässt

zuständlich

  • Prüfung auf Veränderungen ist nur nach hinlänglich langen Fristen sinnvoll
  • Bsp: Sprachen, Institutionen, Freundschaften, Feindschaften, persönliche Situationen

Typen

impressiv segmentiert
aktuell (ia) Gefahrensituationen (sa) "durchblitzende Gespräche"
zuständlich (iz) das "Bild" eines Menschen (sz) Sprachen, Ehe, Familie

aktuell impressiv

  • Gefahrensituationen

aktuell segmentiert

  • Bsp. Gespräche mit einer nur fragmentarisch durchblitzenden integrierenden, binnendiffusen Bedeutsamkeit
  • Bsp. Probleme, an denen man ratlos grübelt

zuständlich impressiv

  • Bsp. das "Bild", das man sich von einem Menschen macht, den man gut zu kennen glaubt
  • Bsp. der typische oder individuelle Charakter eines Dinges, der sich im Wechsel seiner Gesichter durchhält, mit integrierende binnendiffuser Bedeutsamkeit

zuständlich segmentiert

Gemeinsame segmentierte zuständliche Situationen in demselben Sinn wie die Muttersprache sind das, was man mit vager Umschreibung als den Geist oder die Mentalität einer Gemeinschaft bezeichnet; die Griechen sagten "Nomos" mit Akzentuierung des Anteils der Programme an der binnendiffusen Bedeutsamkeit. (S-DWdeP 133)

Inkludierende und implantierende Situationen

Inkludierende Situationen

Erstere stehen nicht im Widerspruch zum wurzellosen Individualismus und schwebenden Ironismus, die Schmitz als autistische und ironistische Verfehlungen des abendländischen Geistes bezeichnet. Includierende Situationen nennt Schmitz auch Konstellationen, es sind zu Konstellationen zersetzte Situationen, die dadurch charakterisiert sind, dass sie einem Selbst "die Freiheit lassen, sich unbeschadet aus ihnen zu lösen; ich denke etwa an Konventionen, äußerlich bleibende Lebens- und Umgangsformen und Kollektive Standpunkte für 'Mitläufer', an beherrschte Fremdsprachen u. dgl." Includierende Situationen sind temporäre Gefüge, die Teilnahme an ihnen ist als für subjektive Wahl offen anzusehen, sie sind relativ flüchtig und austauschbar. (Heubel 44)

Implantierende Situationen

Dem kontrastieren Situationen im emphatischen Sinne, die implantierende Situation, welche im Selbst "so tiefe Wurzeln schlägt, dass sie nicht leicht und, wenn überhaupt, nur allmählich und mit erheblichen Wunden herausgerissen werden kann. Dazu gehören Situationen, aus denen die Persönlichkeit durch Tradition und frühe Sozialisation hervorwächst, und solche in die sie hineinwächst, z.B. durch Gemeinschaft mit einem Lebenspartner." (S-AHG 24) (Heubel 44)

Besondere Situationen

Persönliche Situation


Veränderung von Situationen

Veränderung aktueller Situationen durch zuständliche Situationen

Es werden also die aktuellen Situationen, in denen man lebt, durch die zuständlichen persönlichen Situationen der Beteiligten mannigfaltig modifiziert, wobei diese zuständlichen persönlichen Situationen wieder in zuständlichen überpersönlichen Situationen eingebettet sind, die ihrerseits aber letzten Endes irgendwann aus aktuellen Situationen und aus der Explikation aktueller Situationen hervorwachsen. (S-NP 50)

Veränderung durch personale Situationen

Veränderung durch überpersönliche Situationen

Entstehung zuständlicher Situationen aus aktuellen Situationen

Es wachsen unter der Hand aus aktuellen Situationen, ohne dass sie besonders eingesetzt werden müssten, lauter zuständliche Situationen, zum Beispiel Sprachen, hervor. (S-NP 50)

Entstehung neuer Situationen

Aber der Mensch kann eben auch die Situationen auflockern. Er kann explizieren, und aus den Explikaten wachsen neue Situationen hervor, und so werden also die Situationen von persönlicher Stellungnahme, die Einzelnes herausgreift, und so weiter immer wieder neu modifiziert und auch bereichert. So kommt es zu diesen komplizierten gemeinsamen Situationen auf personalem Niveau, wo alles möglich ist, von Freundschaften, Feindschaften, Liebschaften, Diskussionsgemeinschaften in Parlamenten. Alle das sind also mehr oder weniger aktuelle Situationen in darauf zugeschnittenen zuständlichen Situationen, die da hineinragen. (S-NP 49)

Therapeutisches Vorgehen zur Veränderung von Situationen

Das Vorgehen kommt damit einer Erlebnisreise von einer Situation in eine andere, zum gegebenen Zeitpunkt mehr gewünschte, gleich. Wollen Therapeuten solche "Reisen" unterstützen, übernehmen sie damit die Rolle von "Reisebegleitern, Reisepartnern, Reiseführern" (wie auch immer man dies nennen will). Will ein Mensch dies selbsthypnotisch gestalten, übernimmt er selbst mit seinen willkürlichen Wahrnehmungsfunktionen diese Rolle. (GS-LzPuL 58)

Bewältigung von Situationen

Explikation und Plakatierung sind die beiden Grundformen des orientierenden Umgangs mit Situationen. (S-DRdN 172)

Siehe: Privative Weitung, Ursprung der Sprache: privative Weitung

Plakatierung: Plakat-Situation

In der Regel plakatiert eine impressive Situation (Plakat-Situation) eine segmentierte (plakatierte Situation). Segmentierte können sich zu impressiven gleichsam zusammenziehen.

Bsp:

  • bei der ersten Begegnung eines Menschen erhält man bereits einen prägnanten, vielsagenden Eindruck
  • die Figur des Bamberger Reiters, in der der "hohe Mut" der mittelalterlichen Adels- und Ritterkultur, einer segmentierten Situation mit binnendiffuser Bedeutsamkeit, schlagartig aufscheint.
  • Jesus im Gedicht von Tersteegen: "Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart."

(S-DzB 25)

Das Verdienst, die Plakate für die Philosophie (der Sache, nicht dem Namen und der Begrifflichkeit nach) entdeckt zu haben, gebührt Heidegger. (S-DRdN 173)

[Ü]berdies gibt es aber auch beim Menschen noch andere, explikationsfreie, unter manchen Umständen unentbehrliche Weisen der Situationsbeherrschung, wie ich sie am Beispiel der Unfallabwehr durch den virtuosen Autofahrer beschrieben habe. Mit solcher Bewältigung von Situationen durch leibliche Kommunikation steht die Person den Tieren nah. (S-H 88)

Explikation: Meisterung von Situationen durch Konstellationen

Explikation ist darüber hinaus der spezifisch menschliche, personale Zugang zur Beherrschung von Situationen, wodurch der personale Mensch den Tieren überlegen ist;... (S-H 88)

Skizzen: Einzelnes und Konstellation

Situation Konstellation Einzelnes.png Topisch dual.png

Siehe: Topisches Verhältnis, Duales Verhältnis, Konstellation, Chaotische Mannigfaltigkeit, Entfaltete Gegenwart

[Der] Anspruch, der im rechten Maß dem Menschen für seine spezifische Selbstbehauptung zusteht: die Fähigkeit, Situationen als Konstellationen zu rekonstruieren und dadurch zu meistern. (S-NGdE 47)

Die therapeutische Aufstellung als Konstellation, die helfen soll problematische Situationen zu meistern.

Übertriebene Meisterung durch Reduktionismus mittels Konstellationen: Konstellationismus

Explikation durch Rede

Aufhebung des Situationsdrucks mittels Explikation durch Rede

Das wichtigste Mittel der Auseinandersetzung mit Situationen ist bei Tier und Mensch die Rede. (S-LU 41)

Aufhebung des Situationsdrucks durch Rede:

Explikation durch leibliche Aufstellung

Siehe: Aufstellung als leibliche Explikation

Hervorbringung der Konstellation als Prozess

Die Hervorbringung der 10.000 Dinge ereignet sich als Prozess der Aktualisierung und Individualisierung (you) dessen, was ursprünglich undifferenziert (wu) ist. You, dessen ursprüngliche Bedeutung "dicht, reichlich" und davon abgeleitet "haben" ist, repräsentiert also das Stadium, in welchem eine Differenzierung bereits stattgefunden hat, während bei wu - in der generellen Bedeutung nicht haben - eben diese Individualisierung noch nicht stattgefunden hat. Dieses prozesshafte Ontologieverständnis unterscheidet sich somit deutlich vom abendländischen Denken, auch wenn sich hier Parallelen zur Vorstellung des Flusses bei Heraklit aufdrängen. Denn im Abendland wird - ungeachtet dessen, ob es sich um ein eher monistisch oder dualistisch geprägtes Weltbild handelt - in der Regel immer vom Sein im Sinne eines Zustandes und nicht eines Prozesses gesprochen. ... Das dao repräsentiert schließlich die fundamentale Einheit von you und wu, indem es sich in Gestalt des prozesshaften Wechsels aller existierenden Gegensätze manifestiert. (DH-DLdG 178f)

Siehe: Aufstellung als therapeutischer Prozess der Herausbildung von Konstellationen aus Situationen

Situation als Etwas

Situation als System

Siehe: System als Situation

Situation als gemeinsames Medium von Subjekt und Objekt

In der Situation gibt es noch keine Trennung zwischen Subjekt und Objekt jedoch schon eine explizierbare topologische Struktur.

Wie schon Heidegger lehnt Schmitz es ab, die Frage wie das Subjekt aus sich heraus zum Objekt kommen könnte, als Grundfrage der Erkenntnistheorie anzusehen. Wie das Subjekt die Brücke zum Objekt schlagen könne und umgekehrt sei eine Scheinfrage, weil die Situationen immer schon das gemeinsame Medium von Subjekt und Objekt bildeten. (Heubel 42)

Situation als Bild

Siehe: Bild als Situation


Zitate

Allzu deutlich liegt ja in dem Begriff der Situation das Umfangende und Befangende, das einem forschenden Subjekt die Distanz gegenüber der Welt der Objekte verwehrt. Allzu deutlich fordert das Wesen der 'Situation' ein Wissen, das nicht die Objektivität anonymer Wissenschaftlichkeit hat, sondern durch Horizont und Perspektive, durch Engagement und erhellende Einsicht in die eigene Existenz geprägt ist. (Gadamer aus: GE-WHe 54)

Die Situation ist nicht nur einfach das, was mich umsteht, sondern das, was mich betrifft. (Rombach, aus: GE-WHe 55)

Situationen stellen Aufgaben, fordern Stellungnahmen heraus, warten auf Entscheidungen ... Es ist die jeweilige Situation, in der und an der es zu handeln gilt. Alle Initiative des Menschen ist situationsbedingt, zugleich aber auch situationsgestaltend. Sie ist hervorgehoben von der Lebenslage, gleichsam herausgefordert von ihr, stößt aber selbst wiederum formend in sie vor. (Nicolai Hartmann, aus: GE-WHe 56)

Geschichte des Situationsbegriffes

Bei den Versuchen zur Einführung eines Situationsbegriffs lassen sich fünf Tendenzen beobachten:

  1. die Verabschiedung der Vorstellung einer additiven Konfrontation von Erkennendem und Erkanntem, stattdessen die Auffassung des Verhältnisses als Verstricktsein, Eingebettetsein
  2. die Erweiterung, Auffüllung des Objektpools; die Betonung seiner Geschlossenheit, seiner Abgehobenheit durch eine Ganzheitlichkeit
  3. die theoretische Entdeckung eines neuen Mannigfaltigkeitstypus, der chaotischen Mannigfaltigkeit (erst in der Neuen Phänomenologie)
  4. die Geladenheit der Situationen mit Bedeutsamkeit; die Bestandteile von Situationen sind nicht primär materielle Dinge, sondern Sachverhalte, Programme und Probleme
  5. die Bewegung von Einzahl-Konzepten ("die Welt") hin zur Pluralität von Situationen (MG-DSidP 115)

Der Begriff der Situation verwandelt sich von einem Thema der theoretischen Philosophie in ein Thema der praktischen Philosophie, und in dieser letzten Form verliert er in den fünfziger Jahren mit dem Auslaufen der existentialistischen Modewelle an Interesse. In der Neuen Phänomenologie kehrt der Situationsbegriff dann in die theoretische Philosophie zurück. (MG-DSidP 116)

Mit Bezug auf Heidegger und Merleau-Ponty lässt sich - im Anschluss an Dreyfus - argumentieren, dass sich das wahrnehmende Subjekt immer in situativen Bedeutungskontexten befindet, die bereits durch vorheriges Handeln strukturiert sind und sich überhaupt nur mit Bezug auf die Interessen und Bedürfnisse des in ihnen agierenden kognitiven Systems definieren lassen. (Engel/König MPK 180)

Es handelt sich bei diesen situativen Kontexten also um das, was Heidegger als 'Verweisungszusammenhang' oder 'Bewandtnisganzheit' bezeichnet hat - vgl. Heidegger, Sein und Zeit, S. 83-88; oder Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, S. 231-242 bzw. um 'Bedeutungseinheiten' im Sinne von Merleau-Ponty, Die Struktur des Verhaltens. Zu Details der Argumentation von Dreyfus, vgl. What Computers Still Can't Do, S. 273-382. (Engel/König MPK 180)

Den Begriff der Situation - im Sinne eines durch Handeln strukturierten und im Handlungsvollzug erschlossenen Dingzusammenhangs - entlehnen wir Satre und Merleau-Ponty;

  • vgl.: Satre, Das Sein und das Nichts, S. 833-950
  • Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, S. 102-104, sowie Merleau-Ponty, Die Struktur des Verhaltens, S. 61-70.
  • Sehr verwandt ist der Begriff der 'Bewandtnisganzheit' bei Heidegger. Die Grundprobleme der Phänomenologie, S. 231-242.
Dreyfus führt das Konzept der Situation in seiner kritischen Analyse des klassischen Kognitivismus ein. Vgl. What Computer Still Can't do, S. 273-282. Er hebt in diesem Zusammenhang die anti-reduktionistische Implikation eines holistisch verstandenen Situationsbegriffs hervor. Wie Dreyfus betont, lassen sich Situationen nicht physikalisch kategorisieren, da ihre Individuierung immer intentionale oder teleologische Elemente voraussetzt (um eine Situation zu beschreiben, muss man zum Beispiel auf die Gerichtetheit von Akten Bezug genommen werden), die nicht eliminiert werden können; vgl. What Computer Still Can't Do, S. 231 f. (Engel-/König in: MPK 188)

Hegel: Geist

.. doch fehlt zu diesem noch der Hinweis auf Bedeutung und Wege der Explikation aus der Subjekt und Objekt übergreifenden Totalität, die für Hegel der Geist, in meiner Terminologie die Situation ist. (S-HL 361)

Fritz Mauthner

Quelle: Beiträge zu einer Kritik der Sprache: Dritter Band: Zur Grammatik und Logik, Stuttgart/ Berlin 1902, S. 117, 231.

Situation = Summe der gegenwärtigen Sinneseindrücke

Die Wichtigkeit der Situation, das heißt des augenblicklich im Gehirn des Sprechenden oder Hörenden vorhandenen Weltbildes, wird uns aus unserer Kritik des Apperzeptionsbegriffs deutlich werden. (FM-BKS3 228)

So können wir mit dem begriff des psychologischen Subjekts und Prädikats für die letzten Feinheiten des Denkens nicht viel anfangen und halten uns besser an die Situation der Seele, welche zwar unklar aber dafür ohne falschen Nebengriff so gut auf den Ausruf "es regnet" als auf die Abfassung oder Aufnahme eines historischen Werkes Anwendung finden kann. Diese Situation der Seele umfasst das, was man etwas großartig die Weltanschauung des Einzelnen nennen mag, wohlgemerkt die Weltanschauung, wie sie im Momente gerade beim Sprecher und Hörer vorhanden ist. (FM-BKS3 233)

Siehe: Prädikat und Situation als Basis

Ludwig Klages

Völlig unabhängig von beiden Autoren [i.e. Scheler und Heidegger] bringt gleichzeitig Ludwig Klages Situationen vom Typ der vielsagenden, mit mächtigen Atmosphären tiefen Gefühls geladenen Eindrücke unter dem Titel der Urbilder zur Sprache. (S-NGE 331)

Max Scheler

... Einen Vorläufer hat Heidegger in Max Scheler, der 1916 auf wenigen Seiten seines Buches Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik (4. Auflage Bern 1954, S. 158-161) unter dem Titel des Milieus einen Typ von Situationen nachweist, der der Bewandtnisganzheit des Zuhandenen nach Heidegger im Wesentlichen entspricht. (S-NGE 331)

Husserl

Die Situation als dieser Horizont steht aber selbst in weiteren Horizonten. (Husserl: Die Lebenswelt, S. 543; zit.n.: WH-RL 95)

Husserl, von dem der Begriff der Situation, wie auch der des Phänomens seinen Ausgang nimmt, gebraucht den Begriff in zweifacher Hinsicht,

  • zum einen zur Kennzeichnung des historischen oder auch philosophischen Kontextes einer Handlung
  • und zum anderen zur Umschreibung einer leiblichen Artikulationsform.
Der letztgenannte Situationsbegriff erweist sich als brauchbar für unseren Erkenntniszweck, redet Husserl doch in diesem Zusammenhang von der "kinästhetischen Situation". (AB-BuB 63)

Heidegger

Heidegger gehört nach Jahrtausenden der Reduktion zu den Ersten, die vollständige, mit Bedeutsamkeit geladene Situationen wieder ernst nehmen und auf den Begriff zu bringen suchen. (S-NGE 331)

Dieses Umweltliche (Katheder, Buch, Tafel, Kollegheft, Füllfeder, Pedell, Korpsstudent, Straßenbahn, Automobil usf. usf.) sind nicht Sachen mit einem bestimmten Bedeutungscharakter, Gegenstände, und dazu noch aufgefasst als das und das bedeutend, sondern das Bedeutsame ist das Primäre, gibt sich mir unmittelbar, ohne jeden gedanklichen Umweg über ein Sacherfassen. In einer Umwelt lebend, bedeutet es mir überall und immer, es ist alles welthaft, "es weltet", was nicht zusammenfällt mit dem "es wertet". (Heidegger: Zur Bestimmung der Philosophie (Frühe Freiburger Vorlesungen Krigsnotsemester 1919 und Sommersemester 1919) hg. v. Bernd Heimbüchel, Frankfurt a.M. 1987 (Gesamtausgabe Bd 56/7, (72-73))

Situation ist eine gewisse Einheit im natürlichen Erleben. Situationen können einander durchdringen: Ihre Dauern schließen einander nicht aus (z. B. ein Jahr im Feld, ein Semester: kein objektiver Zeitbegriff). In jeder Situation ist eine einheitliche Tendenz vorhanden. Sie enthält keine statischen Momente, sondern »Ereignisse«. Das Geschehen der Situation ist kein »Vorgang« — wie er etwa im physikalischen Laboratorium in theoretischer Einstellung beobachtet wird, wie z.B. eine elektrische Entladung. Die Ereignisse »passieren mir«. (MH-ZBdP 205)

Weiteres über »Situation«:

  1. Jede Situation ist ein »Ereignis« und kein »Vorgang«. Das Geschehene hat Beziehung zu mir; es strahlt ins eigene Ich hinein.
  2. Die Situation hat eine relative Geschlossenheit.
  3. Unabgehobenheit des Ich in der Situation. Das Ich braucht nicht im Blick zu sein, es schwimmt in der Situation mit. (MH-ZBdP 206)

Siehe: Heidegger als Vorreiter des erkenntnistheoretischen Explikationismus

Merleau-Ponty

Quellen aus MP-PdW:

Situationsräumlichkeit (MP-PdW 125)

unsere Freiheit stützt sich auf unser Sein-in-Situationen, ja sie ist selbst eine Situation (196)

mein Leib setzt mich in Situation (197)

Existenz als Übernahme einer faktischen Situation (202/206)

zur Aneignung von Situationen (302, 483)

Wesensstruktur unseres Seins: "Situiert-sein-in-bezug-auf-eine-Umwelt" (331)

zum Situiert-sein in einer intersubjektiven Welt (407, 414)

zur Möglichkeit der Auslegung von Situationen (411)

seiend in einer Situation, sind wir eingekreist, unfähig, uns selbst transparent zu werden (435)

das Subjekt ist aber in Situation, es ist selbst nichts anderes als eine Möglichkeit von Situationen (464)

zur Offenheit von Situationen (502, 421)

zu sozialen Situationen und ihre Explikation (504-509)

zu gemeinsamen zuständlichen Situationen im Sinne von Schmitz:

Spreche ich mit einem vertrauten Freund, so schließt jedes seiner Worte und jedes der meinigen über das hinaus, was sie für jedermann bedeuten, eine Vielzahl von Verweisen auf die wesentlichen Dimension seines wie meines Charakters ein, ohne dass wir dazu erst der Erinnerung an unsere vorangegangenen Gespräche bedürften (157f, vgl 408)

Siehe: Feldontologie#Situationsontologie