Intelligentes Denken im weitesten Sinn kommt in drei Gestalten vor,
- als leiblich intelligentes,
- hermeneutisch intelligentes und
- analytisch intelligentes Denken. (S-BW 86)
Intelligenz
- im Umgang mit Situationen: leibliche Intelligenz
- im Umgang mit einzelnen Bedeutungen aus Situationen: hermeneutische und analytische Intelligenz
Siehe: Denktypen
Leibliche Intelligenz
Stephen Gilligan: somatic mind (im Unterschied zum verbal mind)
Die leibliche Intelligenz geht aus der
Einleibung hervor, in der sich unablässig
Situationen mit Programmen bilden, die zur Lösung von Aufgaben (Problemen) herausfordern. Von dieser Art ist das intelligente Denken der
Tiere und namentlich der Säuglinge bei der Aneignung ihrer Umgebung.
(S-BW 87)
Die Intelligenz des
Verstehens ist also ein
Denken in
Situationen, das, um sich korrigierend Fortschritte zu machen, den Weg über
Explikationen und Bearbeitung einzelner
Sachverhalte,
Programme und
Probleme nicht oder wenig nötig hat. Dadurch zeichnen sich z.B. gute Menschenkenner, gerissene Demagogen, geschickte Diptomaten und eben Frauen aus.
(S-IV 376)
Es kommt dann auf eine "Nase" für
Situationen, einen Spürsinn, der solche rasch und vielfältig aufzufassen weiß, und Fähigkeit zur wendigen und doch zielsicheren Anpassung an sie an, auch auf die Ausdauer dieser Fähigkeiten, wenn sie in dichter Folge andauernd herausgefordert werden. Das Wahrnehmen des homerischen Helden ist weitgehend von dieser Art, ein Denken (noein) in Situationen, Erfassen und Reagieren in eins, wie Caesars "veni, vidi, vici".
(S-IV 375)
Leibliche Intelligenz ist intensives Spüren. Das setzt voraus, das Ichbehauptung und
personale Emanzipation stark zurückgenommen sind zugunsten unmittelbarer Nachbarschaft zu den
Phänomenen.
(GL-RB 51)
Hermeneutische Intelligenz
Hermeneutisch intelligentes
Denken expliziert Bedeutungen so sparsam aus
Situationen, dass diese in ihrer Ganzheit unversehrt berücksichtigt und geschont werden, sei es als durchscheinend durch den Schleier der kombinierten einzelnen
Bedeutungen, sei es als den Umgang mit diesen Bedeutungen leitend. Im ersten Fall ist das hermeneutische
Denken Dichten, im zweiten ein Denken mit Takt oder Fingerspitzengefühl.
(S-BW 86f)
Während die leibliche Intelligenz ohne Einsatz von Sprache auskommt, sind die hermeneutische und die analytische auf Rede angewiesen, wobei in einer wichtigen Art hermeneutischer Intelligenz die Grenze allerdings so verschwimmt, dass die hermeneutische Leistung auch ohne Rede auskommt und dann in Leistung leiblicher Intelligenz übergeht. (S-BW 90)
Die Angewiesenheit auf Rede in den anderen Fällen beruht darauf, dass das Denken im engeren Sinn aus der binnendiffusen Bedeutusamkeit einzelne Bedeutungen abruft und solche nur durch Rede identifizierbar sind. Der wesentliche Zug des hermeneutisch intelligenten Denkens besteht darin, dass bei der Explikation auf die Integrität der Situation oder der Situationen, aus denen expliziert wird, Rücksicht genommen wird. (S-BW 90)
Hermeneutisch ist eine Intelligenz, die der poetischen
Explikation dadurch nahe kommt, dass sie sich nicht darauf beschränkt, einzelne Bedeutungen (d.h. Sachverhalte, Programme, Probleme) zu explizieren und zu kombinieren, sondern die binnendiffuse
Bedeutsamkeit ganzheitlich im Auge behält, um sich mit geschickter Sparsamkeit der
Explikation ihr anzupassen. Eine Domäne für Entfaltung hermeneutischer Intelligenz ist das Gespräch, eine aktuelle
Situation, die mit unzähligen zuständlichen oder aktuellen Situationen beladen ist, die darüber bestimmen, was gerade dazu ansteht, gesagt oder verschwiegen zu werden.
(S-SuK 55)
Der wesentliche Zug des hermeneutischen intelligenten Denkens besteht darin, dass bei der Explikation auf die Integrität der Situation oder der Situationen, aus denen expliziert wird, Rücksicht genommen wird. Das kann auf zwei Weise geschehen,
- durch Anpassung an Situationen
- oder durch Gestaltung (einschließlich Nachgestaltung) von Situationen.
Im ersten Fall bewährt sich die Intelligenz als Takt, der sie Situation als ganze und nicht nur als Steinbruch für einzelne Bedeutungen respektiert und im Auge behält. Diese Art hermeneutischen Denkens ist unerlässlich, wo es um erfolgreiche Menschenbehandlung geht, sei es in der Politik, in der Wirtschaftsbetrieben, im Verkauf, beim Arzt, in der Familie usw.; aber auch der Historiker und der Ethnologe benötigen für ihr Verstehen vergangener oder fremdartiger Populationen und Persönlichkeiten hermeneutische Intelligenz.
(S-B 90)
In dieser Hinsicht neigt die hermeneutische Intelligenz zu sparsamer Explikation, bis dahin, dass die Explikation ganz entfallen kann und muss, um die Situation in ihrer Ganzheit sichtbar zu machen und ihr zu entsprechen. Dann genügen etwa Blicke, Schweigen, ein Händedruck, ja das sanfte Alleinlassen als Träger neuer, nicht expliziter und doch eindringlicher Bedeutungen (Sachverhalte, Programme, Probleme), in denen die Situation aufgefangen wird, und das hermeneutische Denken geht in das leibliche über, wovon ich vorhin gesprochen habe. (S-B 91)
Hermeneutische Intelligenz widersetzt sich beiden, diskursiver Analyse wie dem Schweigen. Sie gesteht einem Reden Vorrang zu, das Sachverhalte sparsam und schonend expliziert und auch nur so weit, dass vielsagenden Eindrücke unversehrt erhalten bleiben - in ihrer Gesamtheit und Geschlossenheit. Literarische, insbesondere poetische Sprache, die sich mit Anspielungen, metaphorischen Umschreibungen begnügt, folgt hermeneutischer Intelligenz, um "die Situation als ganze und nicht nur als Steinbruch für einzelne Bedeutungen zu respektieren und im Auge zu behalten."
Hermeneutisch intelligent ist die sprachbildliche Umgang mit Welt und Wirklichkeit in
Zhuangzi und zugleich radikal verschieden von der uns vertrauten Vorstellung von Wort und Bild als bloße
Repräsentanten der Realität. So ließe sich unter Berufung auf das
Zhuangzi der
Repräsentationstheorie eine "Philosophie der
Präsenz" entgegensetzen: "Es hat einen Namen (
mìng 名), und es hat eine Realität (
shí 實). Das macht die Dinge (
wù 物) aus."
(GL-RB 54)
Analytische Intelligenz
Das
Denken im engsten, striktesten Sinn ist das analytische Denken. Dabei geht es nur darum, Sachverhalte als Tatsachen oder Programme als geltende aus
Situationen zu explizieren und die Explikate zu kombinieren; die
Ganzheit der explizierten
Situation wird dem Zerreißen in die Errungenschaften solcher
Explikation und dem als überflüssig vernachlässigbar gewordenem Rest überlassen. Das Muster solcher prosaischen
Explikation analytischer Intelligenz ist das Problemlösen.
(S-BW 87)
Die menschliche Intelligenz, deren für ein Milieu spezifischer, darin verwurzelter und habituell gewordener Stil hier als (entsprechend beschaffene) Vernunft bezeichnet sei, besteht in erster Linie, auf dem Grunde aller kombinatorischen Leistungen, im Explizieren von Situationen, d.h. im Abruf einzelner Sachverhalte, Programme und Probleme aus dem chaotisch-mannigfaltigen Hof der Bedeutsamkeit einer Situation. (S-H 190)
Siehe: Abstraktion, Konstruktion