Martin Heidegger

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Rehabilitierung der strikten Subjektivität (des frühen Heideggers)

Siehe: Heideggers Rehabilitierung der strikten Subjektivität

Der frühe Heidegger, der somit Subjektivität auch dem Wortlaut nach zum wichtigen Thema macht und gegen Missdeutungen zu schützen sucht, straft den späten Lügen, der nichts davon wissen will, dass dies damals sein Anliegen gewesen sei. Die Diskrepanz beruht darauf, dass Heidegger inzwischen unter "Subjektivität" etwas anderes versteht. Er hat die strikte Subjektivität, die das leitenden Thema des früher Heidegger war, völlig aus den Augen verloren und kennt Subjektivität überhaupt nur noch als positionale Subjektivität eines speziellen Typs, der nach seiner Auffassung dem neuzeitlichen Denken den Stempel aufdrückt. (S-HuH 421)

Rehabilitierung der Situation

Heidegger gehört nach Jahrtausenden der Reduktion zu den Ersten, die vollständige, mit Bedeutsamkeit geladene Situationen wieder ernst nehmen und auf den Begriff zu bringen suchen. (S-NGdE 331)

Heidegger als Entdecker der Plakat-Situation. Siehe: Situation

Vorreiter des erkenntnistheoretischen Explikationismus

Darin aber ist Heidegger Recht zu geben, dass er von vorn herein Subjekt und Objekt im Horizont dieser Welt oder entfalteten Gegenwart zusammenschließt, mit der Konsequenz des erkenntnistheoretischen Explikationismus (Erkenntnis als Auslegung); ... (S-HL 385)

Siehe: Heideggers als Vorreiter des erkenntnistheoretischen Explikationismus

Rehabilitierung des Ortes

Heidegger's work is of special relevance to any place-oriented thinker. As Edward Casey has so admirably set out in his The Fate of Place, the history of place within the Western philosophical tradition has generally been one in which place has increasingly been seen as secondary to space - typically to a particular notion of space as homogeneous, measurable extension - and so reduced to a notion of space as homogeneous, measurable extension - and so reduced to a notion of position, simple location, or else mere "site". (JM-HT 3)

Befreiung vom Innenweltdogma

... ein entsprechend hohes Lob darf man Heidegger zollen, indem man ihn als den Befreier der Menschheit, zumindest der europäischen, vom Bann eines von den Philosophen über sie schicksalhaft verhängten Vorurteile feiert: des Innenweltdogmas. Was Heidegger dafür geleistet hat, ist freilich nur so etwas wie der Trompetenstoß, der die Mauern von Jericho fallen ließ; die rationale Rekonstruktion des wunderbaren Effektes, die Aufräumungsarbeit und die Vermessung des zugänglich gewordenen Landes hat er einem Nachfolger überlassen. Heideggers Trompetenstoß ist sein Begriff des In-der-Welt-Seins. (S-HuH 382f)

Leib und Körper

Der Unterschied der Grenzen vom Körper und Leib bestünde hiernach darin, daß die Leibgrenze weiter hinausgeschoben wäre als die Körpergrenze, so daß der Unterschied der Grenzen ein quantitativer wäre. Aber wenn wir die Sache so nehmen, so verkennen wir gerade das Leibphänomen und die Leibgrenze. Die Leibgrenze ist gegenüber der Körpergrenze nicht quantitativ, sondern qualitativ verschieden. Der Körper kann als Körper eine solche Grenze wie der Leib gar nicht haben. Man könnte sich nämlich denken, rein theoretische Möglichkeit, daß mein Leib qua Körper sich ausdehnt bis zum wahrgenommenen Fenster, so daß die Leibgrenze und die Körper(113)grenze sich decken. Aber gerade dadurch wird die artmäßige Verschiedenheit der beiden Grenzen deutlich. Die Körpergrenze wird dadurch, daß sie sich dem Anschein nach mit der Leibgrenze deckt, niemals selber zu einer Leibgrenze. Beim Zeigen mit dem Finger auf das Fensterkreuz dort drüber höre ich nicht bei den Fingerspitzen auf. Wo ist denn die Grenze meines Leibes? „Jeder Leib ist mein Leib.“ An sich ist der Satz unsinnig. Genauer müßte es heißen: der Leib ist je mein Leib. Das gehört zum Leibphänomen. Das „mein“ ist bezogen auf mich selbst. Mit dem „mein“ meine ich mich. Ist der Leib im „Ich“ oder ist des „Ich“ im Leib? Der Leib ist jedenfalls kein Ding, kein Körper, sondern jeder Leib,d as hießt der Leib als Leib ist je mein Leib. Das Leiben des Leibes bestimmt sich aus der Weise des Da-seins. Aber welche? Wenn der Leib als Leib je mein Leib ist, dann ist diese Seinsweise die meinige, so ist das Leiben mitbestimmt durch mein Menschsein im Sinne des ekstatischen Aufenthaltes inmitten des gelichteten Seienden. Grenze des Leibens (der Leib ist insofern er leibt: Leib) ist der Seinshorizont, in dem ich mich aufhalte. Deshalb wandelt sich die Grenze des Leibens ständig durch die Wandlung der Reichweite meines Aufenthaltes. Die Körpergrenze dagegen ändert sich für gewöhnlich nicht, höchstens etwa beim Dickwerden oder beim Abmagern. Aber Magerheit ist auch kein Körperphänomen, sondern ein Leibphänomen. Der abgemagerte Leib kann freilich wieder als Körper gemessen werden hinsichtlich seines Gewichtes. Das Volumen des Körpers (der Leib hat kein Volumen) ist kleiner geworden. All dieses zur Leib- und Körpergrenze Gesagte aber ist noch unzureichend bestimmt und muß später noch einmal eigens aufgenommen werden.

Vorläufig wollen wir nur festhalten, daß das „mein“ in der Rede von „mein Leib“ sich auf mich selbst bezieht. Das Leiben hat diesen merkwürdigen Bezug auf das Selbst. (Heidegger: Zollikoner Seminare 112-113)

Das Leiben gehört als solches zum In-der-Welt-sein. Aber das In-der-Welt-sein erschöpft sich nicht im Leiben. Zum Beispiel gehört zum In-der-Welt-sein auch das Seins-verständnis, das Verstehen dessen, daß ich ind er Lichtung des Seins stehe, und das jeweilige Verständnis des Seins, dessen, wie Sein im Verständnis bestimmt ist. Diese Begrenzung ist der Horizont des Seins-Verständnisses. Hierbei geschieht kein Leiben. Beim Zeigen des Fensterkreuzes geht der Horizont des Leibens zum Wahrnehmbaren, Sichtbaren. Aber durch das Leiben selber und allein kann ich kein Fensterkreuz als solches, in seiner Bedeutsamkeit erfahren. Daß ich überhaupt „Fensterkreuz“ sagen kann, darin liegt schon ein Seinsverständnis. Leiben ist dabei die Gebärde des Hinzeigens auf das von mir Wahrgenommene, im Sehen durch mich Erreichbare. Leiben ist über-(245)all, wo die Sinnlichkeit beteiligt ist, aber da ist immer auch schon das primäre Seinsverständnis. Wenn Dr. H. Sagt, die Grenzen meines Leibens seien in Afrika, wenn ich mir meinen Aufenthalt in Afrika einbilde, so ist die Grenze des Leibens in Afrika, aber diese Grenzen des Leibens sind dann in einem ganz anderen Bereich, als wenn ich etwas leibhaftig sehe. Darum ist der Bereich „Afrika“ nicht eine Erweiterung des Bereichs des leibhaftig gesehenen Fensterkreuzes. Aber auch bei der Einbildung, in Afrika zu sein, ereignet sich ein Leiben, weil die afrikanischen eingebildeten Berge oder Wüsten oder deren Vergegenwärtigung sinnlich gegeben sind. Wenn wir uns in der Einbildung nach Afrika versetzen, können wir nicht sagen: so und so ist es dort, sondern nur so: so und so könnte es dort sein, während beim leibhaftigen sehen des Fensterkreuzes vor mir ich sagen kann: so und so ist es. Auch im Entwurf eines Gemäldes durch einen Künstler in seiner Einbildung ist das Leiben dabei, weil es ein sinnenhafter Entwurf ist. Beim bloßen Sich-einbilden von Dingen ist es eine ganz andere Weise des Verhaltens als beim leibhaftigen Sehen von sinnenhaft unmittelbar Gegebenem. Wenn man sagt, auch beim Haben von Seinsverständnis sei das Leiben dabei, und wenn man damit meint, daß auch beim Verstehen von so etwas physiologische Prozesse im Gehirn beteiligt sind, so setzt man statt Leib: Körper. Wir haben keine Möglichkeit zu erkennen, wie das Gehirn beim Denken leibt. Das, was wir beim EEG sehen, hat mit dem Leiben des Gehirns nichts zu tun, sondern damit, daß der Leib auch als Körper und dieser chemisch-physikalisch gedacht werden kann.

Ich kann nur sagen, daß am Leiben auch das Gehirn beteiligt ist, aber nicht, wie. Die Naturwissenschaft kann grundsätzlich nicht das Wie des Leibens erfassen. (Heidegger: Zollikoner Seminare 244-245)

Leibferne

Heidegger weiß nichts und will nichts wissen von der Leiblichkeit, primitiver Gegenwart, elementar-leiblichem Betroffensein, leiblicher Kommunikation. Heideggers Mensch-mit-Jemeinigkeit, das "Dasein", ist gleich erwachsen und bleibt es, ob er nun zum Tode vorläuft oder die Angst - bei Heidegger ein hochstufiges, personale Emanzipation voraussetzendes Entfremdungserleben - verdrängt; seine Seinsweise ist die Subjektivität oder Jemeinigkeit in entfalteter Gegenwart. Daher fehlt bei Heidegger jedes Verständnis für den Menschen als Tier, z.B. im Schreck, dessen Möglichkeit Leiblichsein und damit Menschsein von Grund aus bedingt. Mit dieser Verdrängung der elementaren Leiblichkeit verharrt Heidegger im Bann der diese spätestens seit Platon degradierenden europäischen Intellektualkultur und versperrt sich den Zugang zu den Quellen des In-der-Welt-seins. (S-WzNP 17)

Vom Leib nimmt er nur mit Unbehagen Notiz; dieser ist ihm etwas Hinderliches, woran der Mensch gefesselt ist, so dass er nur in ganz wenigen Augenblicken auf der Spitze seiner Möglichkeiten existieren kann. (S-HuH 394f)

Ein schwerer Fehler Heideggers in seiner Analytik des Daseins war der, das Aufruhen dieser Welt auf primitiver Gegenwart zu verkennen und zu hoch, auf dem Niveau der entfalteten Gegenwart, anzusetzen. (S-HL 385)

Monadologisches Denken

Weil Heidegger die leiblichen Quellen des Personseins übersieht und das Dasein von vorn herein zu hoch - bloß auf dem Niveau entfalteter Gegenwart - ansetzt, kommt sein Konzept des In-der-Welt-seins nicht ohne Verzerrungen in Richtung auf ein monadologisches Denken aus. (S-HuH 399)

Überbetonung der Zeit

In his hermeneutic phenomenology of selfhood developed in Oneself as Another, Paul Ricoeur (1992, 328) makes a simpilar point, arguing that Heidegger's overemphasis on temporality leads to an inadequent description of spatiality, which subsequently results in his failure to articulate an intersubjective concept of self as ontologically constituted by the Other. (SO-TSS 439)

Buber argues that Heidegger mistakenly privileges the individuality over the sociality of Dasein based on an underlying phenomenological description which privileges the temporal over the spatial aspect of human existence. (SO-TSS 439)

Es war in Berlin im Frühsommer 1927, als ich begann, mich mit dem Problem des fûdo, Klima, zu beschäftigen. Damals las ich gerade Heideggers 'Sein und Zeit'. Sein Versuch, menschliche Existenz in ihrer Zeitlichkeit zu verstehen, fesselte mich, aber ich fragte mich, weshalb er, wenn er der Zeitlichkeit als subjektiver Daseinsstruktur so viel Gewicht beimisst, nicht zugleich auch die Räumlichkeit als eine ebenso ursprüngliche Daseinsstruktur gelten lässt. Freilicht lässt er die Räumlichkeit nicht unerwähnt, ja, im Hinblick auf den konkreten Raum des menschlichen Daseins scheint die "lebendige Natur" der deutschen Romantik bei ihm aufs neue belebt zu werden. Doch dieser Denkansatz verschwindet nahezu unter der starken Beleuchtung, die Heidegger der Zeitlichkeit angedeihen lässt. Hier zeigte sich mir eine Grenze seines Denkens, denn Zeitlichkeit ohne Räumlichkeit ist nicht wirklich Zeitlichkeit. Heidegger hält an diesem Punkte inne, denn Dasein ist für ihn lediglich das Dasein des einzelnen; er versteht unter Dasein das Dasein des einzelnen Menschen. Dieses "Dasein" aber bleibt vom Standpunkt der Doppelstruktur, nämlich der individuellen und gesellschaftlichen Struktur her, abstrakt. Erst wenn es in diesem konkreten Doppelcharakter verstanden wird, können Zeitlichkeit und Räumlichkeit in einem Zusammenhang gebracht werden, erst dann zeigt sich die Geschichtlichkeit menschlichen Daseins, die bei Heidegger noch nicht konkret genug verstanden wird, in ihrer vollen Wirklichkeit. Und von daher wird auch der Zusammenhang zwischen Geschichtlichkeit und Klimatischem deutlich. (WT-F 5)

Raum, Ereignis, Zeit

Insofern Zeit sowohl wie Sein als Gaben des Ereignens nur aus diesem her zu denken sind, muß entsprechend auch das Verhältnis des Raumes zum Ereignis bedacht werden. Dies kann freilich erst glücken, wenn wir zuvor die Herkunft des Raumes aus dem zureichend gedachten Eigentümlichkeiten des Ortes eingesehen haben. (Vgl. Bauen Wohnen Denken, 1951 in "Vorträge und Aufsätze" 1954, S. 145 ff.).

Der Versuch in "Sein und Zeit" §70, die Räumlichkeit des Daseins auf die Zeitlichkeit zurückzuführen, läßt sich nicht halten. (Heidegger, in: Zur Sache des Denkens, Max Niemeyer, Tübingen 1969, S. 24)

Topologie des Seins

In die Nähe eines solchen Versuchs gerät auch die Kennzeichnung des Heideggerschen Denkens einer "Seinstopik" bzw. einer "Topologie des Seins", wie sie O. Pöggeler im Ausgang von eigenen Formulierungen Heideggers unternimmt. Für Pöggeler besteht die Eigenart des Heideggerschen Denkens als eines topologischen bzw. seinsgeschichtlichen Denkens darin, dass es "den Ort und die Orte der einzelnen metaphysischen Denker" erörtert, indem es "das Ungedachte dieses Denkens zur Sprache" bringt. ... Als Topologie steht Heideggers Denken für Pöggeler in einer Geschichte verschiedener Logien. Dank dieser Einordnung des Heideggerschen Denkens gelingt es Pöggeler, wesentliche Intentionen und Bewegungsweisen des Heidgeggerschen Denkens sichtbar zu machen. Allerdings bleibt die Frage, ob Pöggelers Ansatz nicht dazu neigt, Heidegger noch zu sehr philosophisch, nämlich auf der Ebene eines kontinuierlich sich vertiefenden Logos zu lesen. Denn Heidegger unterzieht zweifelsohne nicht nur die Metaphysik einer Topologie, in der er sie topologisch ordnet, sondern versucht zugleich, den Orts des Logos überhaupt und damit jede -logie zu verschieben und neu zu verorten. (EW-E 14f)

Motiv des In-der-Welt-Seins

Allerdings beruht sein Motiv des In-der-Welt-seins auf der Anlehnungsbedürftigkeit des "Dasein" genannten Menschen, der seine Möglichkeiten ist, ihrer aber nicht habhaft ist, da er sie erst noch zu sein hat, und sich daher an begegnendes Seiendes halten muss, das ihm seine Möglichkeiten vorgibt und sich durch die Konvergenz auf diese Möglichkeiten, die er ist, für ihn zu seiner Welt zusammenschließt. Diese einseitige Gründung des In-der-Welt-seins auf Schwäche und Unbestimmtheit des Bewussthabers versäumt die Formung der Welt durch Vereinzelung, als Rahmen solcher Vereinzelung, aus Situationen und trägt die Schuld daran, dass Heidegger sogleich in einen naiven Realismus nach Art der mittelalterlichen Scholastiker zurückfällt und einem boshaften Interpreten Gelegenheiten bieten könnte, das "Dasein" samt seiner "Welt" in ein realistisches Weltbild wie das von Nicolai Hartmann einzubauen. (S-DWÜ 15)

Kehre?

Der später Heidegger sucht die Thematik des frühen Heidegger auszulöschen, in der sich entweder verleugnet oder umdeutet. (S-HuH 423)

Man kann die Verschiebung in Heideggers Denken zum großen Teil, wohl in der wichtigsten Dimension, so charakterisieren, dass sein Anliegen von 1919 bis nach Sein und Zeit (bis zum Beginn der Transzendenzphase) die strikte Subjektivität ist, die in der Transzendenzphase von einer bloß noch positionalen, aber immer noch rezessiv entfremdeten - sogar zugespitzt kumulativ entfremdeten - Subjektivität abgelöst wird, danach von einer positionalen, die gar nicht mehr rezessiv entfremdet, sondern inständig ist, und das in verschiedenen Nuancen. (S-HuH 426)

Wegen der Reduktion der strikten Subjektivität auf eine bloß positionale, die sich von der cartesischen, so wie Heidegger diese sieht, bloß durch weniger Arroganz und mehr Fürsorglichkeit und Aufnahmebereitschaft bei Bezeugung und Wartung des Seins unterscheidet, darf man wohl von einem Semi-Cartesianismus des später Heideggers sprechen. (S-HuH 427)