Wahrnehmung: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 12. Juli 2013, 06:13 Uhr
Wahrnehmungstypen
Rezeptives Wahrnehmen
Klassische Wahrnehmung bei Kant.
Einleibendes Wahrnehmen: Wahrnehmung 3./0. Ordnung
Keine Beobachtung 1. oder 2. Ordnung, sondern Wahrnehmung 3. Ordnung:
- optisch-motorisches Wahrnehmen: Passenten überqueren eine Straße
- taktil-motorisch: Beherrschen eines musikalischen Instruments, oder einer Schreibmaschine
- taktil-vibratorisch: Autofahrer bei einem drohenden Unfall
Einleiben in Situationen.
Die Normalform der Wahrnehmung ist die antagonistische Einleibung mit primärem Eingespieltsein beider Seiten auf einander durch einen sie zusammenschließenden vitalen Antrieb .... (S-WNP 390)
Wahrnehmen ist keine Bewegung vom physikalischen Raum in den Bewußtseinsraum, sondern eine Beziehung von Leib und Gegenstand in einer gemeinsamen Welt - eine Form von Kommunikation. (F-LRP 95)
Phänomenologisch ist Wahrnehmung nicht Verarbeitung physischer Reize mit mysteriösem Umspringen von Gehirnprozessen in Seelenzustände, sondern leibliche Kommunikation über die Brücke der Bewegungssuggestionen und synästhetischen Charaktere. (S-WNP 254)
Arten der Wahrnehmung
Leib als "Nullpunkt der Orientierung" (Husserl).
Siehe: Beobachtung
Wahrnehmung als Synthese oder Explikation
- Wahrnehmung als Synthese, Konstruktion von einzelnen Sinnesdaten
- Wahrnehmung als Explikation von Situationen
Einheiten der Wahrnehmung
Spannbreite des Wahrnehmens
Ein Gefühl braucht nicht ergreifend zu sein, um wahrgenommen zu werden. Es kann auch bloß wahrgenommen werden.
Bsp eines bloß wahrgenommenen Gefühls: Wie atmet rings Gefühl der Stille, Der Ordnung, der Zufriedenheit (Faust Vers 2691 f.)
Spannbreite:
- gegenständliche Atmosphäre
- ...
- von der Atmosphäre mit einer Spur affektiven Betroffenseins gestreift und angerührt.
- ...
- Atmosphäre als ergreifende Macht
(Vgl.: S-WNP 178)
Gegenstände der Wahrnehmung
Jeder normal wahrnehmungsfähige, vollsinnige Mensch nimmt
- Dunkelheit,
- Stille,
- leeren Raum, Zeit (in Schall und Bewegung)
- sowie Atmosphären von der Art des Klimas, der klimatisch-optischen Atmosphären (heiterer Morgen, friedlicher Abend, Gewitterstimmung) und der Gefühle,
- ganz besonders aber Sachverhalte und Situationen so gut wie
- Farben,
- Schälle, Flächen
- und Bewegungen wahr, oder schärfer und prompter noch;
- beim Blick aus dem Fenster an einem trüber Tags ehe wir oft deutlich, dass es regnet oder diesig ist, eher wir Farben, Formen und Bewegungen da draussen genau ins Auge fassen. (S-III5 189)
Alle genannten Gegenstandssorten außer Farben, Schällen, Flächen und Bewegungen passen nicht in die physiologistische Auffassung der Wahrnehmung,
- teils weil sie (wie Dunkelheit, Stille, leerer Raum, Zeit, Sachverhalte und Situationen) keinen physischen Signalen an die Sinnesorgane spezifisch zugeordnet werden können,
- teils (im Fall der Atmosphären), weil es unmöglich ist, sie in umschriebenen Sendern solcher Signale unterzubringen. (S-III5 189)
Keine Trennung von Wahrnehmungsakt und Gegenstand
Viele Sprachen neigen durch ihre Aktiv-Passiv-Struktur dazu, diese Trennung von Wahrnehmungsakt und Gegenstand zu betonen. Neben dem Aktiv und Passiv ist das Medium ein Form, die uns alternative Strukturen vorstellbar werden lässt.
Wahrnehmung als Wahrnehmung von Situationen
Alle Wahrnehmung ist Wahrnehmung von Situationen; es führt in die Irre, sie als sinnliche Wahrnehmung zu bezeichnen, die sich hauptsächlich auf die von den Sinnesorganen vermittelten Qualitäten bezöge. Wahrnehmung ist in erster Linie Wahrnehmung was los ist an Sachverhalten, Programmen und Problemen, so schon beim Säugling als Wahrnehmen von Situationen mit Programmen der Anziehung und Abstoßung, mit Legierung von Sachverhalten und Programmen in Gestalt der Lust. Gründlich verkehrt ist die Unterstellung, dass solche Bedeutungen erst in einer Serie einzelner bloß sinnlicher Erfahrungen hinzugelernt würden; vielmehr gibt es einzelne Erfahrungen nur als Fälle von Bedeutungen. Jede sinnliche Erfahrung ist auch unsinnlich. ... Was dem Säugling fehlt, ist nicht das Baden in Bedeutungen, sondern die Explikation der für ihn noch absolut chaotisch-mannigfaltigen Bedeutsamkeit der erlebten Situation. Aber auch die feinste intellektuelle Explikation führt nicht über Situationen hinaus. ... (S-JdN 42)
Intuitive Wahrnehmung
Klimatische Wahrnehmungsweise
Es ist so schwül, so dumpfig hie
Und ist doch eben so warm nicht drauß.
Es wird mir so, ich weiß nicht wie -
Ich wollt, die Mutter käm nach Haus.
Siehe: Klima
Intersubjektivität der Wahrnehmung
Objektivität der Wahrnehmung
- individuelle Distanz (exzentrische Positionalität)
- implizite Intersubjektivität (implizite Teilnehmerperspektive)
Individuelle Distanz
Siehe: (Naiver) Realismus
Soziale Teilnehmerperspektive
Kultivierte Wahrnehmung
Siehe: Kulturelle Bedingungen der Explikation
Repräsentierende und präsentische Wahrnehmung
Repräsentierende Wahrnehmung
Repräsentierende Wahrnehmung ist die stellvertretende Wahrnehmung von etwas, z.B. als Stellvertreter in Aufstellungen.
Voraussetzung: Trennung von Zeichen und Bedeutung.
Repräsentierende Wahrnehmung als einseitige Einleibung in Explikate.
Kritik: Kritik an dem Repräsentations-Paradigma, sowie dem Isomorphiemodell der Wahrheit
Präsentische Wahrnehmung
Wahrnehmung geschieht immer in leiblicher Präsenz als Gegenwartsmoment. Das wichtige ist gerade, in der Präsenz als Aufmerksamkeit zu bleiben, und fremde von eigenen Gefühlen zu unterscheiden.
Stellvertreterphänomen in Aufstellungen: Präsentische Wahrnehmung einer evokatorisch-projektiven Identifikation mit einem situativen Explikat, häufig einem Endpunkt eines gerichteten Gefühls.
Keine Repräsentation sondern ein Sich-Zeigen.
Zusammenhang von Wahrnehmung und eigenleiblichem Spüren
Phänomenologische und naturwissenschaftliche Wahrnehmung
Die Phänomenologie der Wahrnehmung steht in Konkurrenz mit anderen Disziplinen, die beanspruchen Experten für Wahrnehmungen zu sein: die Sinnesphysiologie, Neurophysiologie etc.
Gemessen an dem Erfolg der letzteren [der Sinnes- und Neurophysiologie] und insbesondere ihrer technischen und therapeutischen Anwendbarkeit scheint es nötig, das Unternehmen einer Phänomenologie der Wahrnehmung zu legitimieren und in ein Verhältnis zur Neurophysiologie zu setzen. (B-LaA 41)
Ebenso wie bei der Natur, besteht Auslegungskonkurrenz.
Gnostische und pathische Wahrnehmung
Gnostische Wahrnehmung | Pathische Wahrnehmung |
kognitives System | pathisches System |
Objektivität ensteht aus dem Zusammenspiel des affektiven und des kognitiven Systems, aus der Komplementarität des pathischen und des gnostischen Wahrnehmens. (F-LRP 244)
Gnostische Wahrnehmung
im kognitiv und rational strukturierten Raum dauerhafter Sachverhalte
Pathische Wahrnehmung
Resonanzphänomene im präsentisch geprägten Stimmungsraum.
Beispiel Natur: Naturdinge und -räume gleichen Saiten, die durch den Menschen in seiner Gestimmtheit erst zum Klingen gebracht werden. (F-LRP 239)