Denken

Aus TopoWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Nicht das Denken gibt uns den Zugang zum Leben; es ist das Leben, welches dem Denken den Zugang zu sich erlaubt. (Michel Henry, F-LuL 289)

Menschliches Denken ist diskursiv, d.h. Denken in Beziehungen von etwas zu etwas. (S-JDN 30)

Menschen können nicht denken, ohne Verhältnisse in Beziehungen aufzuspalten. Wer anders zu denken vermöchte, hätte einen anschauenden Verstand, den Kant ohne ersichtlichen Grund Gott vorbehalten und an dessen Schöpferkraft binden wollte; ein solcher brauchte nicht Netze von Beziehungen von Knoten zu Knoten zu durchlaufen, um komplexe Verhältnisse bis ins Detail zu durchschauen. ( S-JdN 31)

Menschen können nur in gerichteten Beziehungen (...) denken; ... Erst der Fluss der Zeit auf der modalen Seite der modalen Lagezeit erlaubt den Menschen, zu denken. (S-L 130)

Hauptsätze des Denkens

Erster Hauptsatz des Denkens

Denken ist als Wahrnehmen eine spezifische 'Spiegelung' (Reflexion) (GR-LS 331)

Zweiter Hauptsatz des Denkens

Die reflexive Struktur des Leibes fundiert die Denkbewegung als Reflexion. Als abstrakte, 'reine' oder formale Form erweist sie sich als autoreflexive Denkbewegung. (GR-LS 332)

Dritter Hauptsatz des Denkens

Gedanken sind als individuierte Wahrnehmungen zu Formen fixierte, situative Verhältnisse. (GR-LS 335)

Vieter Hauptsatz des Denkens

Erinnerungen sind dispositional festgehaltene Erfahrungen. (GR-LS 344)

Europäische Fixierung auf das Denken

Für den Hauptstrom der europäischen Philosophie und Anthropologie blieb jedoch die problematische Fixierung der seinsgewissheitlichen Evidenz auf das Denken typisch, die Platon initiierte und dann Descartes durch das cogito ergo sum neuzeitlich aufbereitete. Dadurch suchte man die Seinsgewissheit aus dem Denkprozess abzuleiten und nicht aus der Subjektivität des leiblichen Spürens. Durch die radikale Trennung von Körper und Denken ging das leibliche Fundament verloren. (GR-LS 354)

Denken als leiblicher Prozess des Wahrnehmens

Leibliche Seite des Denkens.png

Stattdessen soll der Ansatz einer 'Phänomenologie des Denkens' versucht werden, was bedeutet, Denken als leiblichen Prozess zu verstehen. (GR-LS 339)

Das Denken 'tut so', als ob es kein Wahrnehmen sei, weil es - wie ein Gefühl - 'die Macht übernimmt'; und dies durch jenen historischen Machtergreifungsprozess, der es in der europäischen Kultur auf eine Art mit der Person verschmolz, dass diese sich wesentlich über es konstituiert und es sie dauernd 'im Denken hält'. (GR-LS 348)

In gewisser Weise hat das Denken als 'Ich' (des cogito) 'dämonischen' Charakter, d.h. es ergreift Besitz vom Leib und bläht sich so auf, dass es sich 'denkend' zwar selbst vollzieht, aber 'so tut', als ob es Leib-los wäre. (GR-LS 348)

Nicht das Denken fundiert das Leben, sondern Leib und Leben das Denken. (GR-LS 332)

Vom formalen Denken aus kommt man erkenntnistheoretisch nicht zurück zur Leiblichkeit des Selbst-Bewusstseins. (GR-LS 333)

Leibliche Lokalisation des Denkens

Mit der Lokalisation von Denk-Prozessen im Leib, also als leibliches Geschehen, wird eine andere als die bisherigen Möglichkeiten der 'Verortung' angeboten, und auch der Auflösung von 'Psychologie' in NeuroPhysiologie ein Riegel vorgeschoben. (GR-LS 349)

  • Aufstellung als leibliche Verortung der Explikate

Denken als personale mnemotechnische Kompetenz

(GR-LS 360)

Denken als semi-autonomer Prozess

Das leibliche Es des Denkens

Die Rückseite des 'Ich denke' wird vom 'Es denkt' gebildet; und dieses 'Es' ist der Leib. (GR-LS 357)

[D]as Denken besitzt - wie auch das Fühlen - 'Semi-Autonomie', d.h. 'es denkt', bevor 'ich denke'. Doch dieses 'es' als Denken ist aus phänomenologischer Perspektive betrachtet nicht 'das Gehirn', sondern das Leib-Subjekt - d.h. der denkende Leib -, der auf Wahrnehmung denkend reagiert, indem er mnemonische in rationale Potenz umwandelt. Dass er dies auch auf körperlicher Ebene und 'gehirnlich beobachtbar' tut, sollte nicht dazu verführen, die neuronalen Prozesse mit den gedanklichen Prozessen gleichzusetzen. (GR-LS 329)

Denkt also der 'Leib' - als subjektive Vitalität -, so lässt sich das auch so ausdrücken, dass 'es' denkt, ohne dass 'ich' es bin (und ohne dieses 'es' direkt freudianisch zu verstehen). Denn das ist 'es' gerade nicht, das 'Ich' ins Spiel kommt, bzw. die Denkhandlung vollzieht. Doch auch dieses 'Ich' geht weit über das bloße cogito hinaus, nämlich als ein 'Ich', das Subjektivität ist, ohne denkend sein zu müssen. (GR-LS 353)

Der historisch-pathische Aspekt des Denken (GR-LS 338)

Schon der homerische Mensch konnte 'ich' sagen, und war sich seines Standes in der Gemeinschaft als eines Individuums bewusst, aber hätte nicht mit der gleichen Überzeugung gesagt, dass es denkt bzw. der Ursprung seiner Gedanken ist, sonden eher, dass ihm das Denken widerfährt, wobei die Quelle der Gedanken 'extern' zu seinem Ich zu lokalisieren war, also bei den Göttern oder daimonischen Kräften. Das 'moderne' Modell des 'Unterbewussten' - oder gar des 'Gehirns' - hat daran grundsätzlich nichts geändert: Alle diese 'Instanzen' sind der kinästhetischen Verfügungsgewalt entzogen. (GR-LS 338)

Das seinsgewissheitliche Ich des Denkens

Nicht das 'Denken' ist im cogito entscheidend, sondern das 'Ich'. Dieses enthält die subjektive Seinsgewissheit, nicht das 'Denken'; d.h. es ist zunächst prinzipiell egal, ob ich davon spreche, dass ich denke oder fühle oder sehe. Das ich es bin, der das tut - bzw. dem unterworfen ist - ist mir im subjektiven Vollzug gewiss. Dass ich es bin, der denkt, nur, wenn ich selbst 'nach-denke' und nicht 'etwas denke', was ich nicht intendierte. Genau umgekehrt zum cartesischen Glauben bietet das Denken die 'minimalste' seingewissheitliche Evidenz! (GR-LS 352)

Siehe: Entdeckung der subjektiven Tatsachen bei Fichte

Räumlichkeit des Denkens

Leiblicher Raum.png

Wenn also Denken eine spezifische Art der Wahrnehmung ist, dann findet es im leiblichen Raum statt; und aus der Analogie mit anderen Aspekten des Wahrnehmens, insbesondere des Fühlens, muss dann auch ihm eine räumliche 'Ausdehnung' zugestanden werden. Aus dieser Perspektive erscheint ein Gedanke ähnlich wie einem Gefühl als ein 'Gegenstand' - ein 'ausgedehnter Denk-Gegenstand' - im Raum. (GR-LS 327)

Mit dem Postulat einer spezifischen Ausdehnung eines Gedankens ist das Denken nicht, wie der sich auf die platonisch-augustinische Tradition stützende Descartes einfach definierte, eine 'unausgedehnte' 'reine' 'Denk-Sache' (res cogitans), die einem Körper als einer 'ausgedehnte Sache' (res extensa) dualistisch gegenüberstünde. Diese Sicht hat zwar ihre Berechtigung darin, dass man wegen der Unumkehrbarkeit der Individuationsrichtung nicht von der ortsräumlichen 'messbaren' Ausdehnung auf die Ausdehnungsformen des leiblichen Raums bzw. des Gefühls- und Gedankenraums zurückgehen kann, doch geht sie zu weit, denn deshalb die Existenz von Gedanken und Gefühlen auf 'Ausdehnungslosigkeit' zu reduzieren, nimmt ihnen gerade jene Räumlichkeit, die für ihr Verständnis wesentlich ist. (GR-LS 328)

Objektiver Gedankenraum

Göttliche Perspektive

Leiblicher Gedankenraum

Leiblich-subjektive Perspektive

Denken der Gedanken

Durch das Denken 'erkennen' wir Gedanken, wie wir durch das Fühlen Gefühle, durch das Sehen Dinge, Töne (usw.) 'erkennen'. ... In gewisser Weise 'machen' wir Gedanken, wie wir Töne 'machen'; nämlich leiblich. (GR-LS 347)

Gedanken nehmen Beziehungen wahr, indem sie die dynamischen Prozesse des 'In-Relation-Setzens' - die schon für den einfachsten Abgleich gebraucht werden, wobei sie die protentionale Dimension der mnemonischen Potenz jeweils akualsieren - zu Begriffen auskristallisieren. (GR-LS 346)

Die Evidenz dafür, dass Gedanken nicht nur durch das cartesische 'Ich denke' (cogito) entstehen, also nicht ausschließlich vom 'Ich' gemacht werden, sondern dass sie, wie die Gefühle und allgemein die Wahrnehmungen in Situationen vorhanden sind, aus denen sie wahrgenommen werden können. In diesem 'situativen' Sinn vollzieht sich das Denken und Fühlen in einem leiblichen Raum, der nur partiell jener kinästhetischen Verfügungsgewalt unterliegt, die, durch das Erlernen von Denk-Bewegungen, in der Lage ist, selbst Gedanken hervorzubringen. (GR-LS 350)

Denken und Sprache

Denken basiert immer auf satzförmiger Rede.

Ganz ohne Rede kommt bei Mensch und Tier die intelligente Verarbeitung impressiver Situationen (vielsagender Eindrücke) mit und ohne direkten Eingriff aus, das sprachlose Denken, das ich als leibliche Intelligenz bezeichnet habe. (S-DRdN 213)

Einfluss der Sprache auf das Denken

An dieser Stelle kann deutlich werden, dass eine bestimmte Sprache das Denken nicht einfach festlegt, sondern bestimmte Gedanken nahelegt und evoziert, die im Denken aufgegriffen und durch Beurteilungen in die eine oder andere Richtung weitergetrieben werden. (RE-SuS 204)

Siehe: Verführungen der Sprachtypen

Denktypen

Übersicht

Analytisches Denken Hermeneutisches Denken Situatives Denken, Denken in Situationen
Intelligenz Analytische Intelligenz Hermeneutische Intelligenz Leibliche Intelligenz
Leistung Dinge kombinieren z.B. mittels satzförmiger Rede (Sprache) Sparsame Explikation von Dingen aus Situationen Typisierendes Denken in vielsagenden Eindrücken, Umgang mit Situationen durch Einleibung
Zeitigkeit Nachzeitigkeit Nach- und Gleichzeitigkeit Gleichzeitigkeit
Grammatik Feste explizite Regelgrammatik Weiche Grammatik implizite, leibliche Grammatik (ohne explizierbare Regeln, kontra Wittgenstein)
Modell Teilchen Feld -> Teilchen Welle, Feld, Stimmung, Atmosphäre

Siehe: Logo-Topo, Sprachtypen, Duales und Topisches Verhältnis, Übersicht

Denktypen Klassifizierung nach Level and Mode

Types of Thought Processes Classified by Level and Mode (Zit. n. D-TSC 57):

Level of

Thought Process

Mode of Thought Process
Visual Verbal
Memory Picture-like imagery Exact verbal memory
Relational Thought Manipulation of spatial relationships Manipulation of symbolic relationships

MacLoad's Verbal-Spatial-Tests

MacLoad's Result Showing Average Amount of Time It Takes Two Groups to Comprehend a Sentence and Then to Verify that It Does or Does Not Describe a Picture. (Zit.n. D-TSC 59)

Groups Length of Time in Seconds
Comprehension Verification
Verbal coders 1.65 1.21
Spatial coders 2.60 .65

Quelle: MacLeod, Colin M., Hunt, E.B., and Mathews, N.N.: Individual differences in the verification of sentence-picture-relationships. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 17:493-507, 1978; Sternberg, R.J., and Weil, E.M.: An aptitude x strategy interaction in linear syllogistic reasoning. Journal of Educational Psychology, 72:226-239, 1980.