Szene

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Szene als Situation

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Szenisches Primärverständnis

Wo sind wir nachgeburtlich zuerst? Die simple Antwort: im Leben vor Ort. Das erste sind für uns daher

  • nicht - wie für Philosophen zumeist - handfeste Standarddinge des Alltags wie Tische und Stühle gemäß der Devise von W.V.O. Quine: "Alltägliche Dinge zuerst!",
  • auch nicht Sinnesdaten wie bei Locke und Hume oder Elementarerlebnisse wie bei Carnap,
  • aber auch nicht Prozesse wie bei Whitehead,
  • auch nicht Systeme wie bei Niklas Luhmann,
  • sondern schlichtweg Szenen, in denen wir uns vorfinden. (WH-RL 49f)

Über das, was Szenen sind, haben Philosophen selten und wenn ja höchstens indirekt nachgedacht. Hier könnten sie im Theater Auskunft einholen. Dazu gibt es auch eine reiche Metapherntradition. (WH-RL 51)

Wenn wir uns vorstellen, dass wir in einem ersten szenischen Gewahren noch gar nicht auf Gegenstände focussiert sind, dann sollten wir sagen: Wir finden uns in eine unbestimmte Weltstellung hineingeboren, die dennoch andeutende Kraft hat. Wir existieren auf diese Weise a limine szenisch, d.h. im Sinne Freges: naturaliter als Variable, d.h. andeutend, wenngleich ungerichtet, d.h. andeutend, unbestimmt, was. (WH-RL 29f)

Auch hier geht es für jeden von uns grundsätzlich um eine partizipative szenische Einbettung, aus der wir gar nicht herauskönnen, indem wir sie unvermeindlich mitnehmen. Wir existieren geradezu szenisch als Gefangene einer variationsfähigen, aber unvermeidlichen Partizipation, für die uns kein Stellvertreter zur Verfügung steht. (WH-RL 56)

Explizit sind Phänomen und Thema zum ersten Mal gar nicht in der Philosophie thematisch geworden, sondern in der Theorie der Psychoanalyse. (WH-RL 53)

Denn die Szenen, um die es den Philosophen gehen muss, sind solche, bei denen Auf- und Abtritt eine Sache von Geburt und Tod sind. Dazwischen gibt es sicher Bühnen des Lebens, die auch risikolosere Auf- und Abtritte in der Lebenspraxis zulassen. (WH-RL 52)

Szenen sind das Primäre für unsere Weltwahrnehmung nicht die Objekte der Welt oder ihr Mobiliar, wie immer impressionistisch, prozessual oder systemtheoretisch aufgelöst. In der zeitgenössischen Entwicklungspsychologie hat man eben deshalb Szenen gemeinsamer Aufmerksamkeit an den Beginn des Spracherwerbs gestellt, allerdings ohne über das Szenische hier experimentell oder auch nur analytisch Rechenschaft zu geben. Andere Entwicklungspsychologen sprechen her sehr plastisch, aber letztlich auch wieder metaphorisch, vom 'Selbst als Ort'. (WH-RL 50f)

Wir existieren geradezu szenisch als Gefangene einer variationsfähigen, aber unvermeidlichen Partizipation, für die uns kein Stellvertreter zur Verfügung steht. (WH-RL 56)

Unser vortheoretisches Bewußtsein ist daher von diesen Formen unseres szenischen Existierens geradezu imprägniert. Wir erinnern uns an ähnliche Augenblicke, an Szenen, wie es damals war, und erwarten von ersehnten Szenen, dass andere uns entgegenkommen, wie auch wir anderen entgegenkommen sollten, unvermeidlich beglückend, gleichgültig oder verletzend. (WH-RL 56)

Extensionales und intensionales Bedeutungsverstehens reichen häufig nicht, wir brauchen auch ein szenisches Bedeutungsverstehen. (WH-RL 57)

Nur der Rückgang auf unser szenisches Existieren erklärt, wieso uns überhaupt Klänge und Bilder zugänglich sind, denn diese sind ja selber szenisch sedimentierte Bedeutungen. (WH-RL 57)

Das Sein der Szene gehört zum Sein von Akteuren, nicht zum Sein des physikalisch Vorhandenen. Der Mythos des Gegebenen kann erst erzählt werden, wenn unser szenisches Dasein in Erkenntnisprozessen neutralisiert werden kann. (WH-RL 75)

Wir können uns grundsätzlich nicht von unserem szenischen Existieren distanzieren. ... 'De facto' ist dieser subjektive Bezug, wie sollte es anders sein, aber immer wirksam. (WH-RL 89)

Die Sinnlichkeit ist für uns 'a limine' schon szenisch verfasst. Nicht wird gesehen, was nicht szenisch gesehen wird. Das ist auch bei Kant nicht zur Klarheit gelangt. (WH-RL 91)

Das Szenische, das mit nichts, was in einer realen Szene konfiguriert ist, identisch ist, ist mithin jenes Nicht-Identische, das begrifflich nicht Einfangbare, von dem Adorno schreibt, dass es das Absolute sei, "wie es aller Metaphysik vorschwebt". Bei einem solchen 'Vorschweben' muss man es wohl belassen, härter kann das Szenische "als lesbare Konstellation von Seiendem" semantisch nicht geschmiedet werden. So verbleibt Metaphysik wahrnehmbar im Reich des Unscheinbaren. ...

In unserer Gegenwart müssen wir allerdings leider damit rechnen, dass die Registratur dieser Dimension nicht nur nicht gegeben ist, sondern dass sie vorsätzlich in Abrede gestellt wird. ... Seinem szientistischem Selbstbegriff nach exiliert sich der moderne Mensch selbst in die kalte Heimat eines lebensweltfreien Daseins. (WH-RL 34)

Wenn wir am Morgen aufwachen, dann erleben wir uns als zu einem bestimmten Zeitpunkt existierend, an einem bestimmten Ort und als eingebettet in eine Szene: eine spezifische, eindeutige und integrierte Situation entsteht. Dasselbe gilt für Träume oder Halluzinationen, in denen man nicht bloß sich selbst erlebt, sondern sich selbst im Kontext einer bestimmten Situation, als Teil einer Welt, die eben zum Vorschein gekommen ist und sich nun schrittweise weiter enthüllt. (TM-DET 38)

Siehe: Topisches Verhältnis

Aufstellung

Siehe: Aufstellung

Externalisierung

  • Innerer Antreiber kommt von hinten oben.

Geschichte

Aristoteles

Platon erscheint hiernach als der Zerstörer eines szenischen Weltverhältnisses, das Aristoteles gerade retten will. (WH-RL 84)

Für Aristoteles treten wir der Welt und ihrem Mobiliar nicht eigentlich 'gegenüber', sondern 'sind' in einem szenischen Sinn immer schon in ihr. (WH-RL 83)

Siehe: Aristoteles

Kant

Kants Theorie des Schönen, wie sie in seiner letzten Kritik vorgelegt erscheint, entpuppt sich aus dieser Sicht als Theorie unserer szenischen Weltstellung wie sie uns schon subsemantisch vertraut ist. (WH-RL 82)

Wieland interpretiert nun Kants dritte 'Kritik', wie schon angedeutet, als Theorie unserer szenischen Weltstellung. Schlüssel für dieses Verständnis ist eine Reflexion Kants, die gerne zitiert wird: "Die schönen Dinge zeigen an, dass der Mensch in die Welt passe." (WH-RL 86)

Hegel

Hegel, obwohl nach und neben Aristoteles der szenische Denker schlechthin, hat merkwürdigerweise keinen speziellen Begriff für das szenische Geschehen dieses Erwachens. Das erste, was wir erwachend registrieren, ist ja unser pures szenisches Dasein. Wir finden uns szenisch vor und wenden uns dann erst sonstigen Instanzen weitergehender Vergewisserung zu, indem wir uns, wie Hegel korrekt beschreibt, z.B. 'anfassen'. (WH-RL 28)

In diesem Licht verbirgt sich metaphorisch bei Hegel das Szenische. Denn natürlich gibt es keine aparte und diskrete Beziehung von Subjekten und Objekte, keine isolierte Beziehung auf Gegenstände, keine einstrahligen Referenzen etc., wie in der üblichen Erkenntnistheorie bis heute unterstellt. Stets ist in solchen Bezügen die szenische Gewahrung vorhergegangen. (WH-RL 32)

Dieses szenische Moment ist auch genau das, was Hegel in seiner Logik auf ihrem Gang zum Leben fehlt. Der Übergang der Subjektivität zur Objektivität, den Hegel dort unverständlicherweise dramaturgisch bemüht, ist im Szenischen bereits vollzogen. Das Szenische ist jenes 'Dritte' zu Objektivität und Subjektivität, von dem Vittorio Hösle mit Recht sagt, dass Hegel es nicht befriedigend expliziert. Das ist gerade deshalb verwunderlich, weil Hegel, wie schon gesagt, ganz und gar szenisch denkt. (WH-RL 28)

Hegel benutzt in den Rekonstruktionen unserer Lernprozesse ein szenisches Vokabular, denkt aber dennoch eher dramaturgisch. (WH-RL 51)

Otto Ludwig

Der erste, der meines Wissens von dem Ausdruck "szenisch" hermeneutischen Gebrauch machte, war offenbar der heute nahezu unbekannte deutsche Dichter Otto Ludwig (1813-1865). (WH-RL 54)

Was Otto Ludwig seinerzeit als erster gesehen hatte, dass es nämlich Mitteilungsformen gibt, für die die physische Präsenz so wesentlich ist wie in einem Spiel, das hat Alfred Lorenzer für die Charakterisierung des Arzt-Patienten-Gesprächs wiederentdeckt. (WH-RL 55)

Wilhelm Dilthey

Der Rückgang auf szenisches Existieren, das man der Sache, nicht dem Wort nach sicherlich bei Heidegger dingfest machen kann, geht letztlich auf Wilhelm Dilthey zurück. Über dessen Schüler Georg Misch und wiederum dessen Schüler Josef König hat sich die Idee dieser elementaren Basis unserer Weltanschauung schon in seiner Göttinger Zeit auch Paul Lorenzen vermittelt. (WH-RL 59)

Ernst Cassirer

Diese Basis nennt er auch den "ursprünglichen Gefühlsgrund", in dem selbst der 'mythische Raum' "eingebettet und gleichsam versenkt" erscheint. ... Der erste 'Gefühlsgrund', von dem bei Cassirer die Rede ist, tritt uns in seiner vormythischen, aber dennoch schon 'aufhellenden' Funktion als Basis unserer Weltstellung unmittelbar als Organ des Szenischen entgegen. Genau darin ist die Einheit eines 'universellen Raumgefühls' bereits gegeben, dem sich erst später mythische und noch später geometrische Raumverständnisse entbinden. (WH-RL 76)

Husserl

Jede Dingwahrnehmung hat so einen Hof von 'Hintergrundanschauungen. (Husserl, zit.n.: WH-RL 94)

Jetzt wissen wir also, wo sich bei Husserl die undercover-Analyse des Szenischen versteckt: In Hof und Horizont. (WH-RL 95)

Allerdings gibt es bei Husserl zudem auch Analysen des Phänomens der Situation, die indes auch als Horizont gefasst wird. Cf. Edmund Husserl. Die Lebenswelt, op.cit., p. 543: "Die Situation als dieser Horizont steht aber selbst in weiteren Horizonten." (WH-RL 95)

Insofern ist Wolfgang Wielands Interpretation von Kants dritter Kritik völlig im Einklang mit dem von Edmund Husserl in den zwanziger Jahren für seine Theorie der Lebenswelt in Anspruch genommenen Disziplintitel. Beide Denker fahnden unter der Flagge der Ästhetik nach einer Theorie szenischen Existierens, sei es wie Wieland mit Kant in der Strukturen unserer sinnlichen Weltpassung, sei es mit Husserl in den Strukturen der Welt im Wie der Erlebnisgegebenheit. (WH-RL 93)

Martin Heidegger

Heideggers 'Dasein' ist szenisch angelegt, er benennt es aber nicht so;... (WH-RL 51)

Die Primärfunktion des Szenischen verdeutlicht, warum Heidegger das Vokabular einer Philosophie der Subjektivität im Stile Kants und Husserls, die beide von Hause aus den Gegenstands- oder Objektbezug privilegieren, vermied und stattdessen den szenischen Begriff des 'Daseins' einführte. (WH-RL 58)

Seine Hauptthese ist hier, dass zur Artikulation des Szenischen als solchen die propositional gegliederte Sprache eigentlich nicht taugt. Sie ist wegen ihrer dualen Struktur in prädikative (x ist F) oder propositionale (glaube, dass p) Muster schon aus formalen Gründen unfähig, das Einheitliche des Szenischen zu fassen. (WH-RL 125)

Auch Martin Heidegger ist immer noch ein überaus wichtiger und stimulierender Theoretiker des Nicht-Propositionalen. (WH-RL 125)

In dieser Stellung wird auch Heideggers Rede vom Nichts plausibel. Bezogen auf Objektivierbares bzw. Seinendes ist das Szenische bzw. das Sein in der Tat nichts Objektivierbares bzw. Seiendes. Der szenische Raum fällt aus der innerweltlichen Standard-Ontologie realer oder auch idealer Gegenständlichkeiten ersichtlich heraus bzw. geht ihr hervor und macht sie erst möglich. (WH-RL 126)

Siehe: Heidegger

Alfred Lorenzer

Dem objektivierenden Gestus rational rekonstruktiven Verstehens und Erkennens hatte im vorigen Jahrhundert der Psychoanalytiker Alfred Lorenzer (1922-2002) die für die analytische Praxis relevante Verstehensart entgegengesetzt, die er unter dem Titel szenisches Verstehen 1970 einführte. Seine Grundeinsicht war, dass im analytischen Gespräch zwischen Arzt und Patient das wechselseitige Verstehen von der situativen Einbettung, die durch die Äußerungen des Patienten bereitgestellt wird, nicht abgetrennt werden kann. (WH-RL 53)

Paul Lorenzen

Aber gerade diese 'Unhintergehbarkeit' des szenischen Charakters bezeugt zugleich das in der Tat denkwürdige "Faktum", "dass wir", so Lorenzen hier begründungslos, "unser eigenes In-der-Welt-Sein nur auf genau eine Weise auffassen und verstehen können". (WH-RL 60)

Wir existieren also auch nach diesem Entwurf Lorenzens geradezu szenisch und bringen auch ein vortheoretisches Bewusstsein unseres szenisches Existierens schon mit. Dieses vortheoretische Bewusstsein ist das des Lebens, getragen von einem vagen Verständnis des Raumes der Bewandtnisse im Sinne Heideggers, der dem Raum der Gründe im Sinne von Wilfried Sellars durchaus vorhergeht. (WH-RL 61)

Szenische Begriffe

  • szenische Aufhellung (scenic ascent)
  • partizipative szenische Einbettung, aus der wir nicht herauskönnen (WH-RL 56)
  • szenisches Verstehen
  • szenisches Existieren