Gefühle

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Gefühle sind leiblich spürbar. Gefühle sind keine unräumlichen privaten Seelenzustände, sondern räumlich und zwar topisch-räumlich präsent, sie können daher auch in Aufstellungen durch Stellvertreter erfahren werden.

Gefühle sind Kräfte, die uns spürbar bewegen ("motivieren"), zu Ausdrucksgesten veranlassen und in bestimmte Richtungen ziehen ("Affekte", "Emotionen"). (F-LRP 194)

Die übliche Trennung von Gefühlen, Körperempfindungen und Sinneseindrücken lässt sich nicht aufrechterhalten; sie haben im Begriff des Fühlens schon sprachlich eine gemeinsame Wurzel. (F-LRP 235)

Beispiel in der Sprache

  • "die Wut packt einen"
  • "von Trauer übermannt werden"
  • "von Kummer niedergedrückt werden"
  • "Neid oder Eifersucht nagen an einem"
  • "von stiller Freude durchströmt"

Fühlen des Gefühls

Gefühl und Fühlen

Unterscheidung zwischen Gefühl und Fühlen des Gefühls: Die Neue Phänomenologie stellt in gewissem Sinn das urchristliche Gefühlsverständnis wieder her, in dem sie scharf zwischen dem Gefühl selbst und dem Fühlen des Gefühls unterscheidet. (Vgl: S-WNP 44)

Mein Gefühl

Possessorisches Missverständnis

Eine possessorische Gefühlsauffassung ist unangemessen. (Vgl: S-WNP 187)

Wenn die Rede von "meinem Gefühl" ist, darf das adjektivistische Personalpronomen "mein" nicht im possessiven Sinn als Besitzanzeige verstanden werden, sondern im subjektivierenden Sinn. (Vgl: S-WNP 181) Mit dem Personalpronomen "mein" darf nur die Meinhaftigkeit des Gefühls zum Ausdruck kommen.

Subjektivität des Ergriffensein

Nicht zu verwechseln sind:

  • die thematischen Zentrierung des Gefühls (z.B. als Trauer über dieses oder jenes Unglück) (Vgl: S-WNP 202): Ist häufig Privatsache, muss aber nicht, wie z.B. bei der Volkstrauer um Diana.
  • die Subjektivität des Ergriffenseins von einem Gefühl (z.B. der Trauer) (tua res agitur): Ist immer Privatsache; stets das eigene Fühlen.

Optionale Meinhaftigkeit

Einem Gefühl muss keine Meinhaftigkeit zukommen, z.B. im Fall einer fremden oder "anonymen" Trauer kann diese Beziehung sehr viel lockerer sein. (Vgl: S-WNP 183)

Typen des Fühlens

Fühlen als Hineingeraten und Ergriffenheit

Argumente gegen die Annahme, dass die Gefühle "aus mir, aus einem Grund meiner selbst" kommen:

  • Feinfühlige, keineswegs verrückte Psychastheniker leiden darunter, dass die Gefühle nicht an sie herankommen; obwohl sie diese spüren, fehlt ihnen die volle Resonanz zum ungespaltenen Ergriffensein. (Vgl: S-WNP 201 Fußnote 128)

Kritik von Fuchs: Ich würde sagen, dass Gefühle (im Unterschied zu Atmosphären) primär aus meiner subjektiven, persönlichen Situation resultieren, nicht aber aus einer Situation, in die ich "hineingerate". (Fuchs in: S-WNP 191)

Siehe: Darin-Sein

Teilen des Gefühls und das je eigene Fühlen

Ergreifende Gefühle kommen ebenso über Kollektive wie über Einzelne. (S-WNP 182)

Egal,

  • ob die Gefühle nun immer bereitliegen
  • oder (als Halbdinge) nicht,

sie können (als kollektive Gefühle) von beliebig Vielen im Bereich ihrer Anwesenheit grundsätzlich empfunden werden, aber eben nur grundsätzlich, und faktisch erst, wenn die Voraussetzungen stimmen,

  • sowohl bezüglich der im Erleben wirksamen Situationen (einschließlich der persönlichen Situation)
  • als auch besonders bezüglich der leiblichen Empfänglichkeit. (S-WNP 184)

[M]ehrere Menschen können z.B. dieselbe Liebe als Situation und Atmosphäre teilen, nie aber dasselbe Lieben als affektives Betroffensein von der Atmosphäre. (S-WNP 202)

Gefühle und persönliche Stellungnahmen

Es gibt auch Legierungen von Gefühlen mit persönlichen Stellungnahmen. (Vgl: S-WNP 179)

Gefühl Persönliche Stellungnahme
stürmischer Mut Beherztheit
Scham Reue
Treue
Zuverlässigkeit

Reue ist wie Beherztheit kein bloßes Gefühl, sondern eine persönliche Stellungnahme auf Grund eines Gefühls, z.B. der Scham. (S-WNP 185)

Verfügen kann man über persönliche Stellungnahmen, und das auch nicht immer, das sie einem oft mit exigenter Nötigung (wie ich mich zur Unterscheidung von automatischer ausdrücke) abgedrungen werden können wie dem Beschämten von der Scham; nicht so verfügen kann man über Gefühle, die einen ergreifen. (S-WNP 187)

Persönliche Stellungnahmen können habitualisiert sein. (Vgl: S-WNP 187)

Gefühle als überpersönliche Atmosphären

Gefühl als überpersönlich, räumlich ausgebreitete, den Menschen leiblich ergreifende Atmosphäre. (Vgl: S-WNP 44)

Gefühle als Halbdinge

Gefühle sind Halbdinge ... durch zwei Merkmale:

So sind Gefühle als Atmosphären, dem phänomenalen Befund nach, wechselnd an- und abwesend, ohne irgendwo beständig sein zu müssen, und wirken ergreifend unmittelbar ... (S-WNP 183)

Intentionalität

Zur Intentionalität gibt es zwei verschiedene Standpunkte:

  1. Alle Gefühle sind intensional (Bollnow, Scheler, Fuchs).
  2. Es gibt zwar intentionale (=zentrierte) Gefühle, aber auch viele mehr. (Schmitz)

Alle Gefühle sind intentional

Gefühle stellen eine bestimmte Form intentionaler Zuwendung dar, die leibliche Empfindung, äußere Wahrnehmung und Bewertung zu einer Einheit integriert. Sie sind nicht aus körperlichen und kognitiven Elementarerlebnissen zusammensetzbar, sondern einheitliche Erlebnisformen mit neuen phänomenalen Charakteristika, die in jenem Elementen nicht enthalten sind. (F-LRP, 233)

Daher lässt Schmitz auch Schelers oder Bollnows Annahme einer Intentionalität der Gefühle nicht gelten. (F-LRP 84)

Nicht alle Gefühle sind intentional

Man darf die Gefühle nicht auf die zentrierten (vermeintlich intentionalen) einschränken, und diesen, etwa wie Bollnow, die übrigen Gefühle bloß als Stimmungen gegenüberstellen. Damit zerreißt man den innigen Zusammenhang dieser Gefühlsgruppen in Hinsicht auf Fundierung, Übergänge und Verwandtschaft. Freude und Trauer kommen ebenso als unzentrierte wie als zentrierte Gefühle vor; ich erinnere gern an Mörikes Gedicht Verborgenheit. (Vgl.: S-WNP 186)

Typische Gefühlsphänomene

  • Strömungsempfindungen (Durchrieselt- oder Durchflutetwerden, Wallungen, Schaudern, Wärme- oder Kälteströmungen)
  • Vibrationen oder Oszillationen (Zittern, Beben, Lachen, Herzklopfen)
  • engenden und weitenden Richtungen (Beklommenheit, Verkrampfung; Öfnnung, Lösung)
  • vertikale Richtungen (Sinken, Gedrückt- oder Gehobensein)
  • expulsive oder emanative Richtungen (z.B. Bewegungsimpulse, Seufzen, Weinen)

Beispiele:

  • Liebe wird als strömende Wärme und öffnende Weitung erfahren
  • Scham treibt die Röte ins Gesicht
  • Zorn steigt als Wallung auf, schwillt an, lässt erzittern oder erbeben
  • Hass verzerrt die Gesichtszüge, "zerfrisst" oder macht "verbissen"
  • Ekel zieht die Mundhöhle zusammen bei einem bitteren Geschmack
  • Freude macht beschwingt und leicht, hebt empor oder beflügelt
  • Enttäuschung bedeutet In-Sich-Zusammensinken ("aus allen Wolken fallen") oder abrupt eintretendes Leeregefühl
  • Trauer oder Depression werden als Druck auf der Brust, Mühe des Amtens, Schwere der Glieder gespürt
  • Vorfreude lässt "das Herz höher schlagen"
  • Mitleid lässt es "aufgehen" (Lösung, Öffnung)
  • peinliche Vorwürfe nehmen wir uns "zu Herzen"
  • Kummer und Trauer machen "das Herz schwer" oder schnüren die Kehle zu (Beengung)
  • Stolz und Mut sind mit schwellender Weitung der Brust verbunden

Beispiele für das affektive Betroffensein durch das Gefühl:

  • Neid schleicht sich in mir ein
  • Wut steigt in mir auf
  • Trauer überfällt oder befällt mich

Räumliche Klassifikation der Gefühle

Gerichtetheit

  • Element: Feuer
  • hebend - niederdrückend (als einfachste Variante)
  • einseitig - allseitig
    • einseitig: hebend - niederdrückend
    • allseitig: zentripetal - zentrifugal
  • umkehrbar - unumkehrbar
  • Verdichtungspunkt - Verankerungspunkt
  • vollständig zentriert - unvollständig zentriert
    • Der von einem zentrierten Gefühl Ergriffene ist vom Zentrum dieses Gefühls affektiv betroffen. Indem das zentrierte Gefühl mich ergreift, bringt es mir sein Zentrum nahe, so dass dieses mir nahe geht. (Vgl. S-WNP 185f)

Ruhe

  • Elemente: Erde
  • ruhig - unruhig

Weite

  • Element: Luft
  • erfüllt - leer

Tiefe

  • Element: Wasser
  • tief - flach

Gefühle und Situationen

gefühlsgeladen gefühllos
Situationen häufigster Fall Gefahren
keine Situationen Verstimmungen depressiver Psychotiker -

Gefühllose Situationen

  • Gefahren, in denen schlagartig reagiert werden muss

Situationslose Gefühle

  • die Verstimmungen der Zyklothymiker und depressiven Psychotiker
  • Bsp. Mörikes Gedicht "Verborgenheit"

Siehe: Atmosphären ohne Ausgangspunkt

Objektive Gefühle

Sind Gefühle überhaupt "vorhandenes" Seiendes, unabhängig von lebendigen Wesen, die sie als jeweils spezifische Beziehung zu anderen Wesen oder zu ihrer eigenen Situation erleben?

Privatisierung und Transzendierung der Gefühle

Seit dem 5. vorchristlichen Jahrhundert sind Gefühle privatisiert worden, d.h. ihre atmosphärische Ergossenheit als leiblich ergreifende Mächte ... geht verloren zu Gunsten privater Lust und Unlust. (Vgl: S-WNP 349)

Die ergreifenden Atmosphären werden bei Platon durch transzendente Ideen ersetzt, wie das Gute, das nichts weiter als gut ist, das Schöne, das bloß noch schön und von allem sonstigen Inhalt gereinigt ist. (S-WNP 350)