Bezogene Individuation

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Bezogene Individuation ist der Erfahrungsprozess, in dem man lernt, die beiden menschlichen Grundmotive nach Autonomie und Beziehung zusammen leben zu können, ohne dass sie sich gegenseitig ausschließen. Gelingende bezogene Individuation ist z.B. dann erfahrbar, wenn man im Kontakt mit Freunden oder Lebenspartnern zugleich das Gefühl hat, ganz bei sich zu sein und sich nicht verstellen zu müssen.
Das Gefühl der bezogenen Individuation ist abzugrenzen von der symbiotischen Verstrickung. Hier hat jeder Mensch das Gefühl ohne den anderen nicht leben zu können, was zu einer ein- oder meist beiderseitigen Abhängigkeit führt, welche die Autonomieentwickklung behindert.
Eine Lösung für dieses Dilemma bietet das [systemische Autonomie-Training].

Übersicht

Bezogenheit Individuation
Präpersonal Symbiose
Personal
Transpersonal Defocus, (Transpersonales) Selbst (Siegfried Essen)
Abhängigkeit, Bezogenheit Autonomie
  • Verlangen nach Autonomie
  • Selbststeuerung
  • Eigenverantwortung
  • Individuation
Empathisches Eingehen auf Beziehungspartner Autonomie
Übertreibung in die Richtung der Bezogenheit Unterabgrenzung: "Von mir hängt alles ab" "Ich zähle nichts, ich bin wertlos"
Übertreibung in die Richtung der Individuation Überabgrenzung: "Ich bin auf keinen angewiesen." "Ich bin cool."
symmetrische Eskalation zwischen: Gefahr des Beziehungsabbruchs Entwertung der eigenen Position

Varianten

Individuation (bei sich sein) keine Individuation
Bezogenheit (in Beziehung sein) Sowohl-als-auch Symbiose auf dem Boot der anderen:
  • "Ich bin unentbehrlich"
  • Selbstersatz, Vater- / Mutterersatz
keine Bezogenheit Überabgrenzung, Abkapselung, Aussteiger Eigene Entwertung, Entwertung der Anderen

Texte

So gibt es heute viele Hinweise darauf, dass die Fähigkeit, sich autonom zu verhalten, das heißt intern eigene Ziele zu definieren und diese (wenn es sein muss) auch aggressiv gegen die Umwelt durchzusetzen, eine positive Rolle bei der Immunabwehr und Krebsbekämpfung spielt. Aber diese Fähigkeit muss offenbar mit der Bereitschaft einhergehen, auch die eigene vielfache Abhängigkeit zu erkennen und anzunehmen, so zum Beispiel die Abhängigkeit vom eigenen Körper, der sowohl Stimulation als auch Regeneration und Ruhe braucht, oder die Abhängigkeit von wichtigen anderen Menschen, die vitale Bedürfnisse zu erfüllen oder zu versagen vermögen. Daraus erklärt sich wohl das Paradox, dass moderne, auch in der Onkologie immer verwendete therapeutische Methoden, wie Biofeedback und Hypnotherapie,

  • einerseits Autonomie, das heißt Selbststeuerung und Eigenverantwortung zu fördern suchen,
  • dies aber andererseits dadurch tun, dass sie die Betroffenen anhalten, sich ihrer körperbestimmten Bedürfnisse und Zustände - das heißt ihrer vielfachen körperbestimmten Abhängigkeiten - gewahr zu werden, sich darauf einzustimmen. ... Dafür bietet sich das Konzept der bezogenen Individuation an. (Stierlin in KiK 16)

Wir verstehen darunter ein in der Phylo- wie Ontogenese zum Zuge kommendes allgemeines Prinzip, demzufolge ein höheres Niveau an Individuation auch jeweils ein höheres, komplexeres Niveau an Bezogenheit sowohl verlangt als auch ermöglicht. Dabei bedeutet Individuation wesentlich die Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstabgrenzung, Selbstdifferenzierung, Selbststeuerung, Selbstbehauptung sowie (beim Menschen) zur Übernahmen von Verantwortung für eigenes Verhalten. Sie offenbart sich uns hier, vereinfacht gesagt, jeweils als eine Dialektik zwischen Selbststeuerung und Interdependenz bzw. zwischen Autonomie- und Abhängigkeitsverlangen. Dabei zeigt sich uns bezogene Individuation als Voraussetzung und Folge von Ko-Individuation und Ko-Evolution innerhalb der jeweils betroffenen Ökosysteme. (Stierlin in KiK 16)

Autonomiebestrebungen einerseits und empathisches Eingehen auf Beziehungspartner andererseits in gutem Gleichgewicht (GS-LzPuL 346)


Siehe: Bipolarität