Szene: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Martin Heidegger ===
 
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{{c|Die Primärfunktion des Szenischen verdeutlicht, warum Heidegger das Vokabular einer Philosophie der Subjektivität im Stile Kants und Husserls, die beide von Hause aus den Gegenstands- oder Objektbezug privilegieren, vermied und stattdessen den szenischen Begriff des 'Daseins' einführte.|WH-RL 58}}
 
{{c|Die Primärfunktion des Szenischen verdeutlicht, warum Heidegger das Vokabular einer Philosophie der Subjektivität im Stile Kants und Husserls, die beide von Hause aus den Gegenstands- oder Objektbezug privilegieren, vermied und stattdessen den szenischen Begriff des 'Daseins' einführte.|WH-RL 58}}
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{{c|Seine Hauptthese ist hier, dass zur Artikulation des Szenischen als solchen die propositional gegliederte Sprache eigentlich nicht taugt. Sie ist wegen ihrer dualen Struktur in prädikative (x ist F) oder propositionale (glaube, dass p) Muster schon aus formalen Gründen unfähig, das Einheitliche des Szenischen zu fassen.|WH-RL 125}}
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{{c|Auch Martin Heidegger ist immer noch ein überaus wichtiger und stimulierender Theoretiker des Nicht-Propositionalen.|WH-RL 125}}
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{{c|In dieser Stellung wird auch Heideggers Rede vom Nichts plausibel. Bezogen auf Objektivierbares bzw. Seinendes ist das Szenische bzw. das Sein in der Tat nichts Objektivierbares bzw. Seiendes. Der szenische Raum fällt aus der innerweltlichen Standard-Ontologie realer oder auch idealer Gegenständlichkeiten ersichtlich heraus bzw. geht ihr hervor und macht sie erst möglich.|WH-RL 126}}
  
 
Siehe: [[Heidegger]]
 
Siehe: [[Heidegger]]

Version vom 23. November 2013, 15:21 Uhr

Szenisches Primärverständnis

Szenen sind das Primäre für unsere Weltwahrnehmung nicht die Objekte der Welt oder ihr Mobiliar, wie immer impressionistisch, prozessual oder systemtheoretisch aufgelöst. In der zeitgenössischen Entwicklungspsychologie hat man eben deshalb Szenen gemeinsamer Aufmerksamkeit an den Beginn des Spracherwerbs gestellt, allerdings ohne über das Szenische hier experimentell oder auch nur analytisch Rechenschaft zu geben. Andere Entwicklungspsychologen sprechen her sehr plastisch, aber letztlich auch wieder metaphorisch, vom 'Selbst als Ort'. (WH-RL 50f)

Wir existieren geradezu szenisch als Gefangene einer variationsfähigen, aber unvermeidlichen Partizipation, für die uns kein Stellvertreter zur Verfügung steht. (WH-RL 56)

Unser vortheoretisches Bewußtsein ist daher von diesen Formen unseres szenischen Existierens geradezu imprägniert. Wir erinnern uns an ähnliche Augenblicke, an Szenen, wie es damals war, und erwarten von ersehnten Szenen, dass andere uns entgegenkommen, wie auch wir anderen entgegenkommen sollten, unvermeidlich beglückend, gleichgültig oder verletzend. (WH-RL 56)

Extensionales und intensionales Bedeutungsverstehens reichen häufig nicht, wir brauchen auch ein szenisches Bedeutungsverstehen. (WH-RL 57)

Nur der Rückgang auf unser szenisches Existieren erklärt, wieso uns überhaupt Klänge und Bilder zugänglich sind, denn diese sind ja selber szenisch sedimentierte Bedeutungen. (WH-RL 57)

Das Sein der Szene gehört zum Sein von Akteuren, nicht zum Sein des physikalisch Vorhandenen. Der Mythos des Gegebenen kann erst erzählt werden, wenn unser szenisches Dasein in Erkenntnisprozessen neutralisiert werden kann. (WH-RL 75)

Wir können uns grundsätzlich nicht von unserem szenischen Existieren distanzieren. ... 'De facto' ist dieser subjektive Bezug, wie sollte es anders sein, aber immer wirksam. (WH-RL 89)

Die Sinnlichkeit ist für uns 'a limine' schon szenisch verfasst. Nicht wird gesehen, was nicht szenisch gesehen wird. Das ist auch bei Kant nicht zur Klarheit gelangt. (WH-RL 91)

Siehe: Topisches Verhältnis

Geschichte

Aristoteles

Platon erscheint hiernach als der Zerstörer eines szenischen Weltverhältnisses, das Aristoteles gerade retten will. (WH-RL 84)

Für Aristoteles treten wir der Welt und ihrem Mobiliar nicht eigentlich 'gegenüber', sondern 'sind' in einem szenischen Sinn immer schon in ihr. (WH-RL 83)

Siehe: Aristoteles

Kant

Wieland interpretiert nun Kants dritte 'Kritik', wie schon angedeutet, als Theorie unserer szenischen Weltstellung. Schlüssel für dieses Verständnis ist eine Reflexion Kants, die gerne zitiert wird: "Die schönen Dinge zeigen an, dass der Mensch in die Welt passe." (WH-RL 86)

Hegel

Hegel, obwohl nach und neben Aristoteles der szenische Denker schlechthin, hat merkwürdigerweise keinen speziellen Begriff für das szenische Geschehen dieses Erwachens. Das erste, was wir erwachend registrieren, ist ja unser pures szenisches Dasein. Wir finden uns szenisch vor und wenden uns dann erst sonstigen Instanzen weitergehender Vergewisserung zu, indem wir uns, wie Hegel korrekt beschreibt, z.B. 'anfassen'. (WH-RL 28)

Das Szenische ist jenes 'Dritte' zu Objektivität und Subjektivität, von dem Vittorio Hösle mit Recht sagt, dass Hegel es nicht befriedigend expliziert. Das ist gerade deshalb verwunderlich, weil Hegel, wie schon gesagt, ganz und gar szenisch denkt. (WH-RL 28)

Otto Ludwig

Was Otto Ludwig seinerzeit als erster gesehen hatte, dass es nämlich Mitteilungsformen gibt, für die die physische Präsenz so wesentlich ist wie in einem Spiel, das hat Alfred Lorenzer für die Charakterisierung des Arzt-Patienten-Gesprächs wiederentdeckt. (WH-RL 55)

Wilhelm Dilthey

Der Rückgang auf szenisches Existieren, das man der Sache, nicht dem Wort nach sicherlich bei Heidegger dingfest machen kann, geht letztlich auf Wilhelm Dilthey zurück. Über dessen Schüler Georg Misch und wiederum dessen Schüler Josef König hat sich die Idee dieser elementaren Basis unserer Weltanschauung schon in seiner Göttinger Zeit auch Paul Lorenzen vermittelt. (WH-RL 59)

Ernst Cassirer

Diese Basis nennt er auch den "ursprünglichen Gefühlsgrund", in dem selbst der 'mythische Raum' "eingebettet und gleichsam versenkt" erscheint. ... Der erste 'Gefühlsgrund', von dem bei Cassirer die Rede ist, tritt uns in seiner vormythischen, aber dennoch schon 'aufhellenden' Funktion als Basis unserer Weltstellung unmittelbar als Organ des Szenischen entgegen. Genau darin ist die Einheit eines 'universellen Raumgefühls' bereits gegeben, dem sich erst später mythische und noch später geometrische Raumverständnisse entbinden. (WH-RL 76)

Husserl

Jede Dingwahrnehmung hat so einen Hof von 'Hintergrundanschauungen. (Husserl, zit.n.: WH-RL 94)

Jetzt wissen wir also, wo sich bei Husserl die undercover-Analyse des Szenischen versteckt: In Hof und Horizont. (WH-RL 95)

Martin Heidegger

Die Primärfunktion des Szenischen verdeutlicht, warum Heidegger das Vokabular einer Philosophie der Subjektivität im Stile Kants und Husserls, die beide von Hause aus den Gegenstands- oder Objektbezug privilegieren, vermied und stattdessen den szenischen Begriff des 'Daseins' einführte. (WH-RL 58)

Seine Hauptthese ist hier, dass zur Artikulation des Szenischen als solchen die propositional gegliederte Sprache eigentlich nicht taugt. Sie ist wegen ihrer dualen Struktur in prädikative (x ist F) oder propositionale (glaube, dass p) Muster schon aus formalen Gründen unfähig, das Einheitliche des Szenischen zu fassen. (WH-RL 125)

Auch Martin Heidegger ist immer noch ein überaus wichtiger und stimulierender Theoretiker des Nicht-Propositionalen. (WH-RL 125)

In dieser Stellung wird auch Heideggers Rede vom Nichts plausibel. Bezogen auf Objektivierbares bzw. Seinendes ist das Szenische bzw. das Sein in der Tat nichts Objektivierbares bzw. Seiendes. Der szenische Raum fällt aus der innerweltlichen Standard-Ontologie realer oder auch idealer Gegenständlichkeiten ersichtlich heraus bzw. geht ihr hervor und macht sie erst möglich. (WH-RL 126)

Siehe: Heidegger

Alfred Lorenzer

Dem objektivierenden Gestus rational rekonstruktiven Verstehens und Erkennens hatte im vorigen Jahrhundert der Psychoanalytiker Alfred Lorenzer (1922-2002) die für die analytische Praxis relevante Verstehensart entgegengesetzt, die er unter dem Titel szenisches Verstehen 1970 einführte. Seine Grundeinsicht war, dass im analytischen Gespräch zwischen Arzt und Patient das wechselseitige Verstehen von der situativen Einbettung, die durch die Äußerungen des Patienten bereitgestellt wird, nicht abgetrennt werden kann. (WH-RL 53)

Paul Lorenzen

Aber gerade diese 'Unhintergehbarkeit' des szenischen Charakters bezeugt zugleich das in der Tat denkwürdige "Faktum", "dass wir", so Lorenzen hier begründungslos, "unser eigenes In-der-Welt-Sein nur auf genau eine Weise auffassen und verstehen können". (WH-RL 60)

Wir existieren also auch nach diesem Entwurf Lorenzens geradezu szenisch und bringen auch ein vortheoretisches Bewusstsein unseres szenisches Existierens schon mit. Dieses vortheoretische Bewusstsein ist das des Lebens, getragen von einem vagen Verständnis des Raumes der Bewandtnisse im Sinne Heideggers, der dem Raum der Gründe im Sinne von Wilfried Sellars durchaus vorhergeht. (WH-RL 61)

Szenische Begriffe

  • szenische Aufhellung (scenic ascent)
  • partizipative szenische Einbettung, aus der wir nicht herauskönnen (WH-RL 56)
  • szenisches Verstehen
  • szenisches Existieren