Fassung

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Um sich zu stabilisieren, muss sich die Person eine Fassung geben, indem sie sich in spielerischer, aber normalerweise keineswegs verspielter, Identifizierung darauf festlegt, etwas zu sein, das eindeutiger ist als sie wirklich ist. Der Hauptanteil dieser Fassung, abgesehen von der gleichfalls beteiligten Berufs- und Familienrolle, ist die sogenannte innere Haltung, gleichsam die Geste, mit der die Person alle Herausforderungen und Zumutungen, die an sie herantreten, aufnimmt, indem sie ihnen z.B. liebenswürdig oder behäbig, misstrauisch, jovial, sanft oder derb begegnet; die Fassung kann auch wechseln, häufig nach Maßgabe der jeweiligen Lebenskreise und Umfelder. (S-EP 115)

Die Person ist ihrer Ambivalenz im Spielraum von Subjektivität und Objektivität (von Bedeutungen im erklärten Sinn), personaler Emanzipation und affektivem Betroffensein so sehr ausgesetzt, dass sie einer Stabilisierung bedarf, um sich zu fangen, und die findet sie, indem sie sich eine ihr eigentümliche Fassung zulegt, das, was man verliert, wenn man die Fassung verliert. (S-WNP 271)

Diese Fassung ist teils an gesellschaftliche Rollen abgelesen, als Fassung eines Arztes, Lehrers, Bauern, eines Mannes, Vaters, Kindes, einer Frau und Mutter usw., teils das, was der Psychiater Jürg Zutt die "Innere Haltung" genannt hat, als habituelle Fassung in Stolz, Liebenswürdigkeit, Bedächtigkeit, sanfte Bestimmtheit, schmeichelnde Sanftheit, u.dgl. mehr. In Wirklichkeit ist der Mensch immer vieldeutiger und vielschichtiger als eine Fassung, wie allein schon die Fähigkeit zeigt, die Fassung auch einmal zu verlieren, aber er übergeht diese Vieldeutigkeit durch spielerische Identifizierung, die zwar verspielt und unecht mit aufgesetzter und fingierter Fassung sein kann, sich grundsätzlich aber solchen Einwänden entzieht, weil die Person, auch die ehrlichste und gewissenhafteste, gar nicht anders kann, als sich eine persönliche Fassung zu geben und als diese zu verstehen, andernfalls würde sin in Labilität und Ambivalenz zerfließen. (S-WNP 271)

Die Fassung ist aber nicht nur ein Notbehelf spielerischer Identifizierung gegen die Labilität, sondern auch ein höchst wirksames Werkzeug des Verständnisses und Sichzurechtfindends im Umgang mit Anderen, vorausgesetzt, dass sie nicht starr wird, sondern hinlänglich locker bleibt. (S-WNP 271)

Dramatische Dichtung ist ein Spiel mit Fassungen von Personen. Indem der Schauspieler eine Rolle übernimmt, wird er nicht eigentlich die gespielte Person, sondern eignet sich deren Fassung an, ähnlich dem Parodisten, der dem Parodierten dessen Fassung gleichsam entwendet und durch diese Trennung das Künstliche daran, die übertreibende Eindeutigkeit, lächerlich macht. (S-WNP 272)

Der epischen Dichtung fehlt die dramatische Tendenz der Zuspitzung auf geschärfte Fassung von Personen, es sein denn in der Satire, die durch Ironie für Abstand sorgt, so dass die allzu ausgeprägten Charaktere dem Empfänger nicht zu dicht auf den Leib rücken. (S-WNP 273)