Abgrenzung: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 1. September 2012, 12:49 Uhr

Übersicht

Abgrenzungen.png

Unterabgrenzung Gesunde Abgrenzung Überabgrenzung
Aggression gegen sich selbst (körperlich, seelisch) gegen andere (aus Schutz) gegen andere (aus Machtstreben)
Beziehung belastet durch symbiotische Anpassung, verinnerlichtes Abgrenzungsverbot keine Belastung aggressive Grenzüberschreitung
Nähe und Bindung präpersonale Nähe und Bindung personale Nähe und Bindung keine Nähe und Bindung
Autonomie keine Autonomie, Symbiose partnerschaftliche Autonomie Pseudo-Autonomie, Einsamkeit

Abgrenzungstypen

Unterabgrenzung

Unterabrenzung.png

Beziehungsmodus "Entweder-Oder"

In verbundenem Zustand

In getrenntem Zustand

Je größer die Überschneidung zwischen zwei Personen (habituell und/oder situativ) ist, desto schwerwiegender ist die Beziehungsstörung - oder auch die psychische Erkrankung dieser Beziehung. (TB-AoC 106)

Was nicht voneinander unterschieden werden kann, schließt sich gegenseitig aus. Im Bereich der Unterscheidung geht es um die Fragen: "Wer ist wer? Wer ist hier alles, wer ist hier nichts?" Es herrscht der Beziehungsmodus "Entweder-Oder". Entweder der eine oder der andere darf leben, groß sein, wird geliebt, ist abhängig, ist autonom, ist erfolgreich, etc. (TB-AoC 106f)

Im Fall der psychischen Verschmelzung (...) handelt es sich um die Beziehungsstruktur: Entweder Ja oder Nein, entweder "Gut" oder "Böse". Was "gut" ist, in der eigenen Person und im Gegenüber, wird angenommen, was "schlecht" ist, wird "ausgespuckt". ... Die Bewertung ist das Kriterium, nach dem sich Und- und Oder-Beziehungen unterscheiden. In der Oder-Beziehung wird aufgewertet und entwertet. Ein Mensch ist dann entweder gut oder schlecht; von Zweien ist einer gut, der andere schlecht. (TB-AoC 130f)

Die Interaktion in diesen Entweder-Oder-Beziehungen ist dadurch gekennzeichnet, dass man zueinander nicht Nein bzw. Ja sagen kann, entsprechend der eigenen inneren Befindlichkeit. Man kann nur entweder Nein oder Ja sagen, was der Gegenabhängigkeit in der "Überschneidung" entspricht: Wenn der eine Ja sagt, muss der andere auch Ja sagen, damit der eine zufrieden ist, oder muss eventuell (wegen der Ambivalenzspaltung) gleichzeitig auch Nein sagen, um die gemeinsamen Ängste abzuwehren. (TB-AoC 131)

Fehlende konstruktive Aggression

Gerade Angstpatienten haben große Schwierigkeiten, diese sinnvole Aggression aufzubringen, da jegliches sich-Behaupten ihre Angst vor Verlassenwerden mobilisiert. (KK in FKK-RD 105)

Trennung von Kopf und Körper

In diesem mehr oder weniger diffusen Feld der "Überschneidung" entsteht auch die vielbeschriebene "Trennung von Kopf und Körper". In der Identifikation mit den Ängsten (Innenbild) und mit den Drohungen (Außenbild) der Mutter (und des Vaters) lernt das Kind "vernünftig" zu sein. (TB-AoC 134)

Gesuchter Ersatz für den fötalen Nicht-Unterschied

Wir seien immer auf der Suche nach Resonanzen und Beziehungsformen, die den Verlust der ursprünglichen und definitiv verlorenen Einheit, den fötalen Nicht-Unterschied, auszugleichen versuchen. (H-PS 182)

Gesunde Abgrenzung

  • (partnerschaftliche) Autonomie, personale Freiheit, reale Freiheit
  • personale Nähe und Bindung

Abgrenzung.png


Beziehungsmodus "Und"

Der Beziehungsmodus "Und" bringt vielmehr die Möglichkeit mit sich, Konflikte als Konflikte (und nicht als Kriege) auszutragen. (TB-AoC 108)

Überabgrenzung

  • Pseudo-Autonomie: ungesunde Überabgrenzung, absolute Freiheit = Einsamkeit, Autarkie
  • keine Nähe und Bindung

Unter ueberabrenzung.png

Den gegenseitigen Pol menschlicher Verhaltensmöglichkeiten beziehen die jungen Männer, die ihren Fremdenhass offen ausleben. Weil sie in ihrer Fluch nach vorne ihre Ängste überspielen, pervertiert sich ihre potentiell konstruktive Aggressivität in einer gewalttätige Abgrenzung. Ihre Identität finden und bestätigen Rechtsradikale in der Negation des Anderen: "So wie der bin ich nicht, so will ich nicht sein". (KK in FKK-RD 105f)

Abwehrmechanismus der Projektion

Das Fremde wird als Bedrohung erlebt, weil es zum Vertreter der "gefährlichen" inneren Eigenschaften geworden ist. (KK in FKK-RD 106)

Ungesunde Abgrenzung

Im symbiotischen Zustand ist die Abgrenzung häufig zu schwach, oder (seltener) zu stark:

  • zu schwach: Verinnerlichtes Abgrenzungsverbot, Verlagerung der Aggression ins Destruktive gegen sich selbst (körperlich, seelisch)
  • zu stark: Überabgrenzung

Zu schwache Abgrenzung: eingeschränkte Abgrenzungsfähigkeit

Wenn die Fähigkeit zur Abgrenzung eingeschränkt oder ganz verloren ist, dann sind die Betroffenen mit ihrer Aufmerksamkeit mehr beim Anderen als bei sich. Sie neigen zu folgenden drei Grundaspekten:

Drei Grundaspekte

  • Überanpassung bis zur Verschmelzung
  • Unterdrückung eigener Gefühle, Bedürfnisse, Gedanken bis zur Selbstentfremdung
  • Aggressionsblockade: Blockade der eigenen gesunden Aggression, der Fähigkeit, sich abzugrenzen und zu schützen.

Diese drei Grund-Aspekte führen

  • zur Abhängigkeit und Ohnmacht,
  • zum Verlust der Autonomie (Selbst-Bestimmung).

Zwei sekundäre Aspekte

Zusätzlich zu den drei Grundaspekten der eingeschränkten Abgrenzungsfähigkeit kommen zwei sekundäre Aspekte hinzu, vielleicht um das zu kompensieren. Die Betroffenen neigen dazu,

  • sich aus Kontakt zurück zu ziehen, ihr Mitgefühl zu unterdrücken, kalt und egoistisch zu werden: Überabgrenzung
  • den anderen mit allen Mitteln zu manipulieren, um ihn abhängig zu machen und benutzen zu können: Macht, Gewalt, Zerstörung.

Diese Aspekte führen zur Entstehung des Symbiosekomplexes. (Vgl: Langlotz: Weiterbildungs-Manuskript)

Ontogenese

Abgrenzung des Kleinkindes

[D]ie psychoanalytische Hypothese, dass das Kleinkind zu Beginn des Lebens das eigene Selbst von der Umwelt nicht abgrenzen könne, konnte jetzt nicht mehr ohne weiteres aufrechterhalten werden, ... (Axel Honneth in: AT-DvS 321)

Abgrenzung als heilendes Prinzip

Die Erkenntnis, dass A nicht zu mir gehört, sondern woanders hin, erzeugt bei gesundem Selbstwillen eine Abwehrreaktion. Wenn A etwas ist, das ich bisher als einen Teil von mir identifiziert habe, aber jetzt als etwas fremdes erkenne, dann ist ein Ausstieg aus A bzw. eine Abwehreaktion gegen A möglich, auch wenn er bisher als eigener Selbstanteil angesehen wurde.

  • Beispiel Homöopathie: A ist das hochpotenzierte homöopathische Arzneimittelbild, das dem eigenen Symptombild ziemlich ähnelt. Es darf eben nicht gleich sein, sonst findet die Erkenntnis nicht statt, dass es etwas Fremdes ist. Durch die Erkenntnis, dass die Symptomatik etwas Fremdes ist, das man bislang als etwas eigenes angesehen hat, wird es möglich die Symptomatik auch zu verlassen und sich auf das wirklich eigene zu konzentrieren. Es kommt die Hinbewegung zu den einen Selbstanteilen zustande. D.h. die Selbstheilungskräfte können aktiviert werden, wenn klar ist, was Selbst und was Fremd ist. Dazu hilft das homöopathische Arzneimittelbild, das die Symptomatik als etwas Fremdes entlarvt, das gar nicht zu einem gehört.
  • Beispiel paradoxe Intervention: A ist die Symptomverschreibung. Sagt man dem Stotterer: "Stottere einmal!" dann kann es passieren, dass er gar nicht mehr stottern kann. Wieso? Wenn das Stottern bisher immer als ganz persönliche Eigenschaft angesehen wurde, dann verwirrt die Symptomverschreibung enorm, da ja auf einmal daraus eine äußere verschriebene Eigenschaft wurde. D.h. das Symptom wird als Anforderung von Außen aufgestellt, und ermöglicht damit eine Unterscheidung von eigenen Eigenschaften. Die Anforderung von Außen kann von den wirklich eigenen Anforderungen unterschieden werden, und diese Unterscheidung ist die Grundlage für einen heilenden Prozess, in dem das Symptom als etwas Fremdes im Außen stehen bleiben kann und so irgendwann gar nicht mehr gebraucht wird.
  • Beispiel Aufstellung: A ist der andere Platz, an dem man bekannte Gefühle fühlt. Dieser Platz unterscheidet sich von dem eigenen Raum und ist räumlich davon getrennt, sonst findet nicht die Erkenntnis statt, dass es sich eigentlich um etwas Fremdes handelt.

Die Bereitschaft aus dem bekannten Platz auszusteigen, ist erst durch die Erkenntnis möglich, dass es nicht der eigene Platz ist. Bedingung dafür ist die Unterscheidung zwischen Eigenen und Fremden. Und wenn etwas Bekanntes als Fremdes vom Eigenen unterschieden werden kann, dann kann das Bekannte auch als Fremdes auch abgegeben werden. Diese erfahrene Erkenntnis ist die Bedingung für den Ausstiegsprozess auf dem Weg zu den eigenen Kräften, sowohl in Homöopathie, paradoxer Intevention wie auch in der Aufstellungsarbeit. Das entspricht ungefähr dem Fall, dass es ein Fußballfeld gibt, auf dem zwei Mannschaften (für Körper und Psyche) miteinander spielen. Beide Mannschaften haben die gleiche Trikotfarbe, man kann sie daher nicht wirklich unterscheiden und nur die gemeinsamen Spielzüge erkennen. Körper und Psyche spielen daher auf einem Feld ununterscheidbar das gleiche Spiel, dass sich in beiden Spielhäften abspielt. Wenn es zum Stillstand der Spieler kommt, d.h. keine Bewegung mehr geschieht, dann ist das Spiel langweilig und irgendwie tot. Wenn jetzt der Trainer von außen reinruft: "Eure Spielaufstellung entspricht gerade derjenigen von dem Spiel Brasilien gegen Paraguay vom Endpiel der WM 1978 kurz vor Abpiff!" dann denken sich die Spieler: "Moment, das geht ja gar nicht. Wir sind doch eine ganz andere Mannschaft mit ganz anderen Qualitäten, und unser Spiel kann man doch gar nicht mit dem anderen Spiel aus der Vergangenheit vergleichen!" So bewegen sich die Spieler zunächst aus der gesunden Selbsterkenntnis heraus, das ihr eigenes Spiel doch etwas ganz unverkennlich eigenes haben muss, und keine Kopie sein darf. Diese Trotzreaktion entspricht der Aussage eines Sohnes zum Vater, der ihm einen guten Tipp gibt: "Schade Vati, aber auf die Idee bin ich auch schon gekommen, aber jetzt wo du mir das empfiehlst, kann ich es nicht mehr als meine eigene Sache umsetzen und muss mir etwas neues suchen." Der Drang zur Individualität, zur Selbstverwirklichung und der damit verbundenen Trotzreaktion gegen fremden Empfehlungen ermöglicht also einen heilenden Bewegungsprozess hin zu eigenen Inspirationen. Auch wenn dieser Drang etwas überzogen sein mag, wie bei jugendlichen Trotzreaktionen, so steckt darin doch immer der Wille zur Unterscheidung und Entscheidung für das eigene individuelle Selbst. Dieser Bewegungsprozess hin zum eigenen Selbst ist der höchst individuelle Lebensprozess. Die Abgrenzung als unterscheidende Erkenntnis und das Erreichen einer gesunden Distanz zu bislang verinnerlichtem Fremden etabliert sich daher als heilendens Prinzip in vielen vermeintlich ganz unterschiedlichen Therapierichtungen, wie der Homöopathie und Aufstellungsarbeit.