Hermann Schmitz: Unterschied zwischen den Versionen
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{{c|Ein häufig zu vernehmender Einwand ''gegen'' die Neue Phänomenologie bezieht sich insbesondere auf die Konzeption der Leiblichkeit und besteht in der Annahme, der Leib werde von Schmitz als unhintergehbare Natur aufgefasst, sei "rein bei sich selbst" (Waldenfels) und in seiner Unmittelbarkeit ein unverfügbares Letztes. Dass diese Konzeption der Leiblichkeit in der Schmitzschen Philosophie in einen ''Essentialismus'' münde, ist Teil jenes unhaltbaren Vorurteils, das den Kern der Schmitzschen Leibkonzeption übersieht. Dieser besteht in einer Vorrangstellung der leiblichen Kommunikation, die sich keineswegs nur auf das unmittelbare "Spüren am isolierten eigenen Leib" (WNP 411) beschränkt. Schmitz fasst den Leib vielmehr von einer ''dialogischen Dynamik'' ausgehend auf und bindet ihn durch die Infragestellung des Innenweltdogmas radikal in die umgebende ''Äußerlichkeit'' ein. Von einer unhintergehbaren, letzten Natur kann angesichts dessen keineswegs die Rede sein. Im Gegenteil, es kann nicht hinreichend betont werden, dass Leiblichkeit in der Konzeption von Schmitz von vornherein als Äußerlicheit und bis in das eingenleibliche Spüren hinein als ein dialogisches Prinzip und ein latentes Mitschwingen in der Korrespondenz zur Umgebung verstanden wird. Mit dem Begriff Leiblichkeit ist also keineswegs eine reine Natur aufgerufen, sondern eine dialogische Dynamik, die sich als 'Gewoge' in der Oszillation ihrer Elemente und der der äußeren Umgebung aufrecht erhält. Subjektivität generiert sich durch diese Oszillation, durch dieses ''Gewoge'' der leiblichen Kommunikation zwischen Engung und Weitung und hebt sich ... aus dem chaotisch Mannigfaltigem ab.|A-SdE 275}} | {{c|Ein häufig zu vernehmender Einwand ''gegen'' die Neue Phänomenologie bezieht sich insbesondere auf die Konzeption der Leiblichkeit und besteht in der Annahme, der Leib werde von Schmitz als unhintergehbare Natur aufgefasst, sei "rein bei sich selbst" (Waldenfels) und in seiner Unmittelbarkeit ein unverfügbares Letztes. Dass diese Konzeption der Leiblichkeit in der Schmitzschen Philosophie in einen ''Essentialismus'' münde, ist Teil jenes unhaltbaren Vorurteils, das den Kern der Schmitzschen Leibkonzeption übersieht. Dieser besteht in einer Vorrangstellung der leiblichen Kommunikation, die sich keineswegs nur auf das unmittelbare "Spüren am isolierten eigenen Leib" (WNP 411) beschränkt. Schmitz fasst den Leib vielmehr von einer ''dialogischen Dynamik'' ausgehend auf und bindet ihn durch die Infragestellung des Innenweltdogmas radikal in die umgebende ''Äußerlichkeit'' ein. Von einer unhintergehbaren, letzten Natur kann angesichts dessen keineswegs die Rede sein. Im Gegenteil, es kann nicht hinreichend betont werden, dass Leiblichkeit in der Konzeption von Schmitz von vornherein als Äußerlicheit und bis in das eingenleibliche Spüren hinein als ein dialogisches Prinzip und ein latentes Mitschwingen in der Korrespondenz zur Umgebung verstanden wird. Mit dem Begriff Leiblichkeit ist also keineswegs eine reine Natur aufgerufen, sondern eine dialogische Dynamik, die sich als 'Gewoge' in der Oszillation ihrer Elemente und der der äußeren Umgebung aufrecht erhält. Subjektivität generiert sich durch diese Oszillation, durch dieses ''Gewoge'' der leiblichen Kommunikation zwischen Engung und Weitung und hebt sich ... aus dem chaotisch Mannigfaltigem ab.|A-SdE 275}} | ||
− | + | === Leibliche Relevanz der Begrenzungserfahrung des eigenen Körpers === | |
{{c|Diese Innovation verleitet Schmitz offensichtlich dazu, das taktile Moment der Doppelempfindung als in jedem Falle untaugliches, weil vom Rückfall in den Dualismus gefährdetes Mittel der Selbstwahrnehmung anzusehen. Dies trifft jedoch nicht zu, wie Fuchs' Hinweis auf die Konstitution des Körperschemas zeigt: Erst die Begrenzungserfahrung des eigenen Körpers, die eine im Vorgang der Geburt erfahrbare ist und die man daher als natal-postnatale bezeichnen kann, geht mit dem Erschrecken über die Trennung von Körper und Leib einher, die unmittelbar aufgehoben und integriert wird in der Vorstellung des Körperschemas, das die bereits pränatal entstandene Leibvorstellung auf höher differenziertem Niveau fortsetzt, in dem es zu einer "Verleiblichung des Körpers" kommt.|AB-BuB 254}} | {{c|Diese Innovation verleitet Schmitz offensichtlich dazu, das taktile Moment der Doppelempfindung als in jedem Falle untaugliches, weil vom Rückfall in den Dualismus gefährdetes Mittel der Selbstwahrnehmung anzusehen. Dies trifft jedoch nicht zu, wie Fuchs' Hinweis auf die Konstitution des Körperschemas zeigt: Erst die Begrenzungserfahrung des eigenen Körpers, die eine im Vorgang der Geburt erfahrbare ist und die man daher als natal-postnatale bezeichnen kann, geht mit dem Erschrecken über die Trennung von Körper und Leib einher, die unmittelbar aufgehoben und integriert wird in der Vorstellung des Körperschemas, das die bereits pränatal entstandene Leibvorstellung auf höher differenziertem Niveau fortsetzt, in dem es zu einer "Verleiblichung des Körpers" kommt.|AB-BuB 254}} | ||
Version vom 1. Oktober 2012, 18:51 Uhr
Hermann Schmitz ist der Begründer der Neuen Phänomenologie, die der Ausgangspunkt für die in diesem Wiki dargestellte Lehre der philosophischen Topologie ist.
Details siehe unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Schmitz_(Philosoph)
Kritik und Gegenkritik
Im folgenden sollen Kritiken der Neuen Phänomenologie von Herrmann Schmitz zur Sprache kommen und deren kritische Reflexion.
Überhebliche Formulierungen
Keine statische sondern genetische Phänomenologie
Hermann Schmitz konzentriert sich darauf, die phänomenologische Frage statisch zu behandeln, und wehrt sich dagegen auch die genetische Frage phänomenologisch zu beantworten. Siehe die Genetische Phänomenologie von Gernot Böhme.
Überzogene Einmaligkeit der je-eigenen Erfahrbarkeit
Apersonale Gefühlstheorie
Schmitz wird vorgeworfen eine apersonale Gefühlstheorie zu vertreten, d.h. die Subjektivität bzw. Inter-Subjektivität von Gefühlen nicht hinreichend zu würdigen. Kritik entzündet sich insbesondere an seiner Redeweise, dass "Gefühle genauso objektiv sind, wie Landstraßen". Mit dieser zumindest verbalen Objektivierung von Gefühlen wird Schmitz der Subjektabhängigkeit von Gefühlen nicht gerecht. Kritiker: Fuchs, Demmerling, Brenner.
Fehlende Indizien für den objektiven Charakter von Gefühlen
Nicht nur ausschließlich affektives Betroffensein
Unhaltbarkeit der ausnahmslosen Kritik an der Privatheitsvorstellung der Gefühle
Naturferne der Leibphänomenologie
Im leiblichen Ich ist mehr das Selbst-sein (der Natur) als das Natur-sein ausgesagt. (Vgl: Thomas-SNs 140)
[Festzustellen ist] ..., dass die bisherige Leibphilosophie den Leib u.a. deshalb nicht als Natur verstanden hat, weil bei Lebensvollzügen wie z.B. dem Atmen die Luft nicht mit thematisch geworden ist. Erst die Thematisierung des Mediums zeigt, dass "der Mensch als Atmender quasi ein Luftwesen ist, ein Wesen, das im Durchzug des Luftmediums existiert." (Böhme: Leib 84) (Thomas-SNs 169, Fußnote 16)
[D]as leibliche Ich bezeichnet nur für den Fall ein Natursein, indem die Phänomene des Leiblichen eben fraglos als Phänomene betrachtet werden, die die menschliche Natur betreffen. Genau dies, nämlich das Leibliche mit dem Natürlichen zu identifizieren, kann man wohl mit guten Gründen vertreten. Schmitz selbst aber hat dies nicht getan. Das eigenleibliche Spüren, das Leibsein, ist für Schmitz keine Erfahrung von Natur und kein Natursein. (Thomas-Sns 140f)
Die Naturferne der Schmitzschen Philosophie scheint mir typisch für alle Phänomenologie. Diese wird von einem antiwissenschaftlichen und antimetaphysischen Impetus getragen, der es schwierig macht, von so etwas wie 'Natur' überhaupt noch zu sprechen. Dem phänomenologischen Beschreiben, Aufweisen und Rekonstruieren erscheint der Begriff Natur sehr schnell als eine eben wissenschaftliche oder metaphysische Konstruktion, deren reduktionistischer Charakter aufgewiesen werden muss. (Thomas-Sns 140)
Beschreibt Phänomenologie dann solches, das klassischerweise Gegenstand von Metaphysik oder Wissenschaft war und ist, wie z.B. den Körper qua Natur (metaphysisch: Substanz, wissenschaftlich: Organismus), so nennt sie es nicht mehr Natur, also nicht mehr Körper, sondern Leib und weist daran Phänomene auf, die klassischerweise übersprungen werden, etwa die Ichhaftigkeit des Leibes. Damit ist aber das Problem der Natur nicht gelöst. Vielmehr ist die Frage, inwiefern der Mensch Natur sei, eben keine Scheinfrage, kein Scheinproblem, das sich etwa aus den Konstruktionen von Metaphysik und Wissenschaft erst künstlich ergibt, sondern diese Frage speist sich aus konkreten Erfahrungen des Lebens, die Anlass zur Rede von der eigenen Natur geben. Dies sind, z.B. Erfahrungen im Bereich der Lebensvollzüge, wie das Atmen, oder der Kreatürlichkeit, wie das Krankwerden. (Thomas-Sns 140)
Fehlender Außenbezug der Leibphänomenologie
Essentialistische Leibphänomenologie
Leibliche Relevanz der Begrenzungserfahrung des eigenen Körpers
Umgang mit Hitler und dem Nationalsozialismus
Durchaus affirmativ bezieht er [Hermann Schmitz] sich dabei auf Paul Natorps, so Schmitz, von aggressiven Zügen freigehaltenen "reinen Nationalsozialismus", wobei jedoch in Schmitz' Darstellung die Abgrenzung zum realen Nationalsozialismus häufig erschreckend schwammig ausfällt; die Lektüre von Schmitz' Hitler-Buch streift und überschreitet immer wieder die Grenze des Erträglichen, insbesondere wo er seitenlang in affirmativem Sprachgestus Sympathien zu hegen scheint. Die Grenze des Erträglichen wird insbesondere überschritten, wo Schmitz das Wort "Holocaust" für die "Materialschlachten des ersten Weltkrieges" verwendet, während es als Inbegriff der nationalsozialistischen Judenvernichtung im gesamten Buch nicht einmal Erwähnung findet, zu schweigen von "Shoah" oder "Auschwitz" als alternativen Bezeichnungen. Dazu passt der haarsträubende Euphemismus, wonach "das deutsche Volk mit der Idee der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, der es zeitweise verfiel, schlechte Erfahrungen gemacht" habe. Mit solchen Sätzen stellt sich Schmitz in die alles andere als ruhmreiche Reihe politisch obskurer Vertreter deutscher Phänomenologie. Als sei dies noch nicht genug bezieht Schmitz sich des weiteren, vergleichsweise skurril, auf die Perspektive eines "neuen Christentums" im Gefolge von Novalis Die Christenheit oder Europa, wobei er meint, dass sich mit Novalis "das berechtigte Desiderat der Gegenaufklärung" anmelde nämlich: "die Überwindung der Zersetzung, der solche Situationen (i.e.: umfassend implantierende gemeinsame Situationen) in der modernen Aufklärung als einem Gipfel der autistischen Verfehlung des abendländischen Geistes verfallen sind." Am Schluss des Buches phantasiert er von der "Wiedervereinigung des römischen Reiches", für die seiner Neuen Phänomenologie eine erhebliche Bedeutung zukommen soll; jene Wiedervereinigung soll darin bestehen, dass "der auf dem Boden des weströmischen Reiches entsprungene, explosiv sich überschlagende Fortschrittsdrang an der still beharrenden Fülle des oströmischen Erbes" sich sättigen möge, ohne zu verlöschen.
Hat sich die neue Phänomenologie damit erledigt? Das Hitler-Buch lässt sich nicht als Entgleisung eines sich verkannt wähnenden Professors entschuldigen, denn Andeutungen ähnlicher Positionen finden sich bereits im System der Philosophie. Dieses führt Individuelles und Allgemeines zusammen, indem Schmitz vom Selbst bzw. der Persönlichkeit als "persönlicher Situation" spricht, welche aus der umfassenden gemeinsamen Situation "hervorwachsen" soll. Nachdem "Individualismus" inzwischen allgemein, selbst unter den Verfechtern philosophischer Lebenskunst wenn nicht zum Schimpfwort geworden, so doch mit Distanz bedacht wird und die Rehabilitation von "Gemeinschaft" auch in Deutschland fortgeschritten ist, ist Schmitz' Position durch das Ausmaß ausgezeichnet, in dem unter einem dürftigen Schleier der Kritik sich revisionistische Affirmation des Nationalsozialismus kundgibt. ( Heubel 45f)