Raum

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Räumlichkeit

Räumlichkeit ist weder ein den Sinneswahrnehmungen entnommene Kategorie noch eine apriorische Form der Anschauung wie bei Kant, sondern primär im eigenleiblichen Spüren selbst gegeben. (S-III/1: 206f)

Die physiologistische Reduktion legt sich spätestens seit Demokrit auf ein ziemlich einseitiges Modell des Räumlichen fest, das als ernst zu nehmender Gegenstand stehen gelassen wird: auf das Modell des festen, von Flächen begrenzten, neben anderen seinesgleichen aufgereihten, vom Subjekt abrückbaren Körpers, so etwa, wie er sich im zentralen Gesichtsfeld darstellt. ... Sogar die platonischen Ideen sind quasi Körper, weil sie sich wie solche verflechten, aneinanderreihen und verschachteln lassen. Es geht hier aber nicht nur um feste Körper, sondern auch um solche, die durch Flächen begrenzt werden. (S-NP 36)

Grundlegende Raumtypen

Dimensionaler Raum Topischer Raum
flächenhaltig nicht flächenhaltig
teilbare Ausdehnung unteilbare Ausdehnung
relative Örtlichkeit absolute Örtlichkeit


Dimensionaler Raum

Flächen kann man weder hören, noch riechen, noch schmecken, namentlich aber nicht am eigenen Leib spüren, wenn man diese nicht wie einen Fremdkörper besieht und betastet. Aber sogar dem Tasten und dem Sehen werden Flächen nur unter besonderen Umständen zugänglich, nämlich wenn man an glatten, harten Gegenständen entlangstreicht oder feste, matte Körper erblickt, auf denen keine blendenden Lichtreflexe und keine Schatten liegen. Andernfalls ist man wahrnehmend auf Flächen zwar gefasst, man rechnet mit ihnen, aber sie zeigen sich nicht von sich aus. Die Fläche ist das erste Leibfremde im Raum; ... (S-NP 36f)

Leiblicher und körperlicher Raum

Es gibt verschiedene Raumverständnisse, die sich sehr unterscheiden können.

  • Subjektiv-leiblicher Raum
  • objektiv-körperlicher Raum

Beide Räume kommen (normalerweise) syntopisch zur Deckung. Sind zwar nicht identisch, aber doch grundsätzlich koextensiv. Wo die Nadel die Hand sticht, dort tut es auch weh. Aber wir erfahren dabei keine zwei verschiedene Hände - die Hand als physischen, sicht- und tastbaren Körper und die Hand als Ort der Schmerzempfindung. Vielmehr ist sie von vorneherein apperzeptiv charakterisiert als Hand mit ihrem Empfindungsfeld, d.h. als eine physisch-aesthesiologische Einheit. (Fuchs 101)

Mythische und wissenschaftlicher Raum

Profaner Raum

1. Der Raum ist ein allgemeines Medium, in dem sich Gegenstände befinden. 2. Dieses Medium wird als kontinuierliche, homogene und isotrope Punktmannigfaltigkeit aufgefasst. Sie ist homogen, weil Punkte nicht voneinander zu unterscheiden sind, und sie ist isotrop, weil es für Ereignisfolgen gleichgültig ist, in welcher Richtung sie sich ausbreiten. Diese Punktmannigfaltigkeit nennt man den Gesamtraum oder Weltraum. 3. Jeder Gegenstand, sofern er wirklich ist, befindet sich an einer Raumstelle. Der Raum ist aber nur in diesem dreifachen Sinne topologisch (wobei es hier nicht erforderlich war, alle seine topologischen Eigenschaften aufzuzählen), sondern er ist auch metrisch definiert. 4. Es steht fest, was unter der gleichen Länge zweier Raumstrecken zu verstehen ist und dass jeder räumliche Gegenstand eine metrisch bestimmte Ausdehnung nach drei Dimensionen besitzt.

Mythischer Raum

1. Der mythische Raum ist kein allgemeines Medium, in dem sich Gegenstände befinden, sondern Raum und Rauminhalt bilden eine unauflösliche Einheit. 2. Er stellt keine kontinuierliche Punktmannigfaltigkeit dar, sondern ist aus lauter diskreten Elementen, den sog. Témena, zusammengesetzt, die sich aneinanderreihen und Räumliches konstituieren. 3. Der mythische Raum ist nicht homogen, das sich in ihm Orte dadurch unterscheiden, dass sie nicht nur eine relative, sondern auch eine absolute Lage haben (Oben, Unten usf.). 4. Er ist nicht isotrop, da es keineswegs gleichgültig ist, in welcher Richtung sich eine Ereignisfolge ausbreitet (rechts herum und links herum). 5. Mythisch wird ein heiliger von einem profanen Raum unterschieden. Der heilige Raum wird in den profanen eingebettet. 6. Nicht alle Orte des heiligen Raumes lassen sich in den profanen einbetten, sie bilden, in der Sprache des Mathematikers ausgedrückt, Singularitäten (Olymp, Tartaros usf.). Auch hat die Einbettung zur Folge, dass identisch heilige Orte an verschiedenen Stellen des profanen Raumes mehrfach wiederkehren können (Omphalos). 7. Der profane Raum ist topologisch ausschließlich durch die unter Punkt sechs angegebenen Phänomene bestimmt. Er gibt sich also nur dadurch zu erkennen, dass die heiligen Témena mit ihrer Diskontinuität, Inhomogenität und Anisotropie für den Sterblichen teils unerreichbar sind, teils in Gewande des Verschiedenen auftreten können, obgleich sie ein Gleiches sind. Der Mensch vermag zwar den heiligen Raum anzuschauen, ja, in ihm zu leben, aber dessen profane "Außenbetrachtung" führt zu topologischen Zerreißungen und Verzerrungen, welche dessen "Innenbetrachtung" nicht kennt. 8. Mythisch gibt es keinen Gesamtraum, in dem alles seine Stelle hat, in den alles eingeordnet werden kann, sondern es gibt nur Aneinanderreihungen einzelner Raumelemente, und diese einmal als heilige (Témena) und zum anderen als profane. 9. Während der profane Raum metrisch dadurch definiert ist, dass jeder seiner Gegenstände eine metrisch bestimmte Ausdehnung nach drei Dimensionen hat, gilt dies für den heiligen Raum nicht.

Zitate

  • “... dass die Topologie einen relationalen Raumbegriff voraussetzt” (Pichler 24)
  • “Die Vorstellung vom Raum als einem Gefüge, bei dem die Relationen letztlich wichtiger sind als die Relata, wird im Fall der Topologie in besonderer Weise anschaulich, befasst sie sich doch mit Strukturen wie Graphen, Oberflächen und Knoten, bei deren Studium es grundsätzlich mehr auf das Wie als auf das Was des jeweiligen Zusammenhangs ankommt. Jedenfalls hat gerade die Topologie regelmäßig solcher Denker angezogen, die - nicht nur im Hinblick auf den Raum - der Relation den Vorzug gegenüber absoluten Größen oder positiven Bestimmungen geben. Daher die Topologie-Rezeption im (Umfeld des) Strukturalismus. Jean Piaget etwa gewann durch seine Auseinandersetzung mit der mathematischen Topologie eine Serie von Relationsbegriffen, die ihm auch in epistemologischer Hinsicht fundamental zu sein schienen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die ontogenetische Entwicklung von Raumvorstellungen: Ordnung, Nachbarschaft, Umhüllung und Kontinuität.” (Pichler 24-5)
  • “Relations, it seems, are what we think with, rather than what we think of.” (aus: Pichler 26)