Topische Bipolarität
leben einzeln und frei, wie ein baum, und brüderlich, wie ein wald, das ist unsere sehnsucht. (NAZIM HIKMET)
Die soziale Bipolarität besteht aus der Polarität von
- Nähe und Bindung: das Bedürfnis nach Verbundenheit (Bindungsbedürfnis, repräsentiert durch das sogenannte "Bindungssystem" im Gehirn)
- Autonomie und Freiheit: das Bedürfnis nach Wachstum und Potenzialentfaltung (Autonomiebedürfnis, repräsentiert durch das sogenannte "Neugiersystem" im Gehirn)
(Vgl. Stavros Mentzos: Psychische Polarität als Autonomie-Abhängigkeits-Polarität)
Gegenüberstellung
Autonomie und Freiheit | Nähe und Bindung | |
---|---|---|
Einzeln und frei wie ein Baum | brüderlich wie ein Wald | |
Selbstbezogenheit | Objektbezogenheit | |
Autonome Selbstidentität:
"Ich bin, weil ich bin." |
Symbiotische Abhängigkeit:
"Ich bin, weil meine Mami mit mir ist." | |
Wertigkeit | Autonome Selbstwertigkeit:
"Ich mag mich, weil ich bin." |
Heteronome (objektbezogene) Selbstwertigkeit:
"Ich mag mich, weil meine Mami mich mag" |
Bestimmung | Autonome Selbstbestimmung:
"Ich mache es, weil ich es will." |
Heteronome (objektbezogene) Fremdbestimmung (u.a. via Über-Ich):
"Ich mache es, weil Mami es so will" |
Bedürfnis | nach Wachstum und Potenzialentfaltung (Autonomiebedürfnis) | nach Verbundenheit (Bindungsbedürfnis) |
System | Neugiersystem | Bindungssystem |
Gesunder Kontakt | zum eigenen Selbst | zur fremden Person (und nicht zu Amputationswunden) |
Kraft | Aggression als Schutz des Selbst | Liebe als Nähebedürfnis |
Tier | Hofhund, dessen Aufgabe es ist, den Hof zu bewachen, bellen und bei Angriff auch zu beißen | Schmusekatze |
Dilemma
Es entsteht häufig der Eindruck, dass sich diese polaren Bedürfnisse gegenseitig ausschließen, so als könnte man Nähe nur um den Preis des "Verrat am Selbst" genießen bzw. seine Freiheit nur mit dem Verlust von Nähe und Zugehörigkeit erkaufen. Dieses scheinbare "Dilemma" ist verantwortlich für dei vielen Variationen von Verwirrung, Leid und Destruktivität. Diese können als - wenn auch bizarre Lösungsversuche verstanden werden. (Vgl.: Langlotz, PdS 2010/2 75)
Symbiose
Siehe unter: Symbiose
Zitate
Lebewesen sind darauf angelegt, sich einerseits gegenüber der andrängenden Wirklichkeit abzugrenzen und zu erhalten, andererseits sie sich einzuverleiben und sich mit ihr zu vereinen. Daraus ergibt sich ein Polarität von repulsiven (aversiven) und attraktiven Ausdrucksvalenzen. (F-LRP 199)
Eigene Lernprozesse werden ganz wesentlich durch die Spannung zwischen zwei einander widersprechenden Bedürfnissen aktiviert: dem nach Sicherheit und Geborgenheit, also nach Bindung, sowie nach dem Wachstum und damit einhergehend nach Autonomie. Neuere Ergebnisse der Hirnforschung führen zu der Hypothese, dass die Auseinandersetzung mit dieser Grundspannung und die Erschaffung von damit verbundenen Lösungen der zentrale Stimulus für die Entwicklung des kindlichen Gehirns und die Entfaltung kindlicher Kreativität sind. (Eidmann+Hüther in PraxSys1/08 58)
Die vorgeburtlich gemachte Erfahrung der Vereinbarkeit von Wachstum und Bindung wird zu einer Basismatrix, anhand deren sich auch die spätere, nachgeburtliche Reifung im Sinne eines selbstreferenziellen Entwicklungsprozesses vollzieht. (PraxSys1/08 58)
Stichworte:
- Ursprungsspannung
- Bipolaritätsmodell