Zen

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Zen ist nicht unbedingt gegen Worte, sieht aber sehr klar, dass diese sich nur allzuleicht von der Wirklichkeit ablösen und dann Begriff und Vorstellung werden. Und dieses Gerinnen der Wörter zu bloßen Begriffen, das ist es, wogegen das Zen sich richtet. Der Zen-Mönch unseres Beispiels ist vielleicht ein etwas extremer Fall, aber er verkörpert diesen Geist sehr deutlich. Zen möchte mit der Sache selbst zu tun haben, nicht mit leeren Abstraktionen. Deshalb hat das Lesen und Rezitieren der Sûtras im Zen keinen besonderen Stellenwert von der Diskurs über abstrakte Gegenstände erst recht nicht. (Suzuki 9)

Substanz und Relation

Ein philosophisches System, das auf der Kategorie der substantia ruht und in den Substanzen die grundlegendsten ontologischen Elemente sieht, tendiert beinahe unvermeidbar dazu, die Form des Essentialismus anzunehmen. (TI-PZB 28)

Einer der wichtigsten philosophischen Grundsätze des Zen-Buddhismus behauptet nämlich, dass, wenn ein Ding - irgendein Ding - durch und durch und vollständig bis zu dem höchstmöglichen Ausmaß es selbst wird, es am Ende seine eigenen Grenzen durchbrechen und seine Bestimmung übersteigen wird. (TI-PZB 32)

Siehe auch: Ontologische Aufwertung der Relation im Zen-Buddhismus

Logik

Die 3 logischen Stufen:

1. Stufe: A ist A (Der Satz der Identität)

Die Ebene der empirischen Erfahrung.

Aristotelische Logik Zen Logik
Identisch

Im dem Fall der traditionellen aristotelischen Logik wird der Ausgangspunkt durch den Satz der Identität geliefert, "A ist A", der, wie wir oben sahen, die logische Grundlage der metaphysischen Wesensphilosophie konstituiert. (TI-PZB 32)

Der Satz der Identität bedeutet auch im Zen-Buddhismus, dass ein Ding, was immer es auch sei, mit sich selbst identisch ist. Um diese empirische Wahrheit auszudrücken, sagt Zen: "Berg ist Berg." (TI-PZB 32)

Unterschiede Essentialismus

Rein äußerlich gibt es hier also keinen Unterschied zwischen dem aristotelischen Logiksystem und der Zen-Logik. Aber schon auf dieser Anfangsstufe nimmt Zen einen anderen Standpunkt ein, der sich bedeutend von der aristotelischen Position unterscheidet. Denn in dem Satz der Identität (A ist A) erkennt Zen die Selbst-Gefälligkeit des normalen bon sens. Für Zen ist die Formel "A ist A" nicht etwas die Beschreibung einer gut begründeten Beobachtung der Wirklichkeitsstruktur, sondern eine logische Darstellung der illusionsreichen Sicht der Wirklichkeit durch den Schleier der Mâyâ, das natürliche Resultat der Tatsache, dass der Mensch alle Dinge der Welt mit der einengenden Belichtung des diskriminierenden Intellekts misst. (TI-PZB 32)

So ist die normale empirische Stellungnahme zur Welt nichts anderes - um scholastisch zu sprechen - als ein ausgesprochener "Essentialismus", indem als die grundlegendste und offensichtlichste Tatsache erkannt wird, dass A A ist wegen seiner A-heit, dass heisst seines "Wesens", A zu sein. (TI-PZB 20)

2. Stufe: A ist nicht A

Der grundlegende Unterschied zwischen der gewöhnlichen Logik und der Zen-Logik tritt mit unbestreitbarer Klarheit bei der nächsten Stufe hervor.

  • Denn erstere entwickelt natürlich den Satz der Identität in den Satz vom Widerspruch (A ist nicht nicht-A) weiter,
  • während letztere ihn in einen offenkundigen Widerspruch entwickelt, der behauptet: "A ist nicht-A." Zen bezieht sich auf diese widerspruchsvolle Stufe mit dem Spruch: "Der Berg ist nicht-Berg." Es muss jedoch immer bedacht werden, dass, wenn Zen so etwas behauptet, es dies nicht in der gleichen epistemischen Dimension des "A ist A" tut. Solange man auf der Stufe des "A ist A", der Eben der empirischen Erfahrung, bleibt, ist man unfähig, gleichzeitig zu sagen, "A ist nicht-A", es sei denn, man sei verrückt. (TI-PZB 32f)

Die Tatsache, dass eine solche Aussage gemacht werden kann, setzt bei dem aussagenden Menschen eine völlige Bewußtseinsveränderung voraus, dergestalt, dass er fähig ist wahrzunehmen, wenn A in einem solchen Ausmaß A "wird", dass es durch seine eigene A-heit bricht und ihm den formlosen wesenlosen und "aspekt"-losen Aspekt langsam enthüllt.

So verstanden muss die Formel "A ist nicht-A" analytisch folgendermaßen paraphrasiert werden: "A ist so durch und durch A, dass es nicht mehr A ist." Metaphysisch ist dies die Stufe des chên k'ung (jap.: shin kû), des "wirklichen Nichts". A ist hier nicht-A im positiven Sinne, indem es so absolut jenseits der Bestimmung und Begrenzung der A-heit ist, dass es viel mehr ist als nur A allein. (TI-PZB 33)

3. Stufe: A ist (wieder) A

  • "transzendentale" Erkenntnis, nicht-diskriminierende Erkenntnis, höchstes Wissen.

Trotz der formalen Identität ist die innere Struktur von "A ist A" in beiden Fällen völlig verschieden. Denn auf der letzten Stufe ist "A ist A" nur die abgekürzte Form für den Ausdruck "A ist nicht-A; deswegen ist es A". Das Diamanten-Sûtra, auf das wir uns schon bezogen haben, beschreibt diese Situation mit den folgenden Worten: "Die Welt ist keine Welt; deshalb muss sie Welt genannt werden." "Ein Ding, welches auch immer, ist kein Ding; deshalb muss es Ding genannt werden." Diese Stufe ist im Mahayana-Buddhismus das miao yu (jap: myô u), "außergewöhnliches Sein. (TI-PZB 33)

Was sich wirklich im menschlichen Bewusstsein ereignet zwischen der Stufe des "A ist nicht-A" und der nächsten Stufe, der des "A ist (wieder) A", bestimmt ausschlaggebend die Natur des Zen-Buddhismus. Das Ganze bewegt sich um den Mittelpunkt der völligen Vernichtung aller individuellen Dinge im Nichts und der Wiedergeburt aus dem Tiefpunkt des Nichts in den Bereich der empirischen Wirklichkeit als konkrete Individuen, deren innere Struktur völlig verwandelt ist. Das Emporsteigen dieses Bewusstseins in einem konkreten individuellen menschlichen Geist ist das, was im Buddhismus unter prajnâ bekannt ist und mit "transzendentale Erkenntnis", "nicht-diskriminierende Erkenntnis" oder "höchstes Wissen" übersetzt werden könnte. (TI-PZB 34)

Die drei logischen Stufen spiegeln die drei Grundstufen des Prozesses der Geburt und Konstituierung der Prajnâ-Erkenntnis wider, obwohl gewiss jede dieser drei subjektiven Stufen die Vorhandenheit einer entsprechenden ontologischen Dimension impliziert. (TI-PZB 34)

Siehe: [TI-PZB 32f]

Jenseits von Subjekt und Objekt

In exakter Entsprechung zu der totalen Verwandlung des Subjekts ereignet sich auf der Seite des "Objekts" eine drastische Wandlung, denn wenn es kein "Subjekt" mehr gibt, das dem "Objekt" gegenübersteht, so kann es auch kein "Objekt" mehr geben. An dieser Stelle verlieren alle Dinge ihre wesentliche Begrenzung. Und da sie nicht mehr durch die ontologische Grenze zurückgehalten werden, fließen alle Dinge ineinander, einander widerspiegelnd und voneinander widergespiegelt in dem grenzenlos ausgedehnten Feld des Nichts. Der Berg ist hier kein Berg mehr, der Fluss kein Fluss mehr, denn auf der entsprechenden subjektiven Seite bin "ich" nicht mehr "ich". (TI-PZB 35)

Die Wirklichkeit im eigentlichen Sinne ist daher etwas, dass sowohl hinter dem Subjekt als auch hinter dem Objekt liegt und beide in deren besonderer Form auftauchen lässt, dies als Subjekt, jenes als Objekt. (TI-PZB 29)

Im Zen spricht man oft vom Nicht-Getrenntsein von Subjekt und Objekt oder vom übersteigen der Subjekt-Objekt-Unterscheidung, aber das meint nicht, von Subjekt (Erkenntnissubjekt, "Ich") und Objekt (Ding als vom Bewusstsein intendiertes Objekt, dingliche Welt) entrückt, in einen weit entfernten, jenseitigen Horizont, eine Welt, deren Grenzen im Endlosen verschwimmen, sich zu begeben. Es bedeutet die Realisierung eines eigentümlichen "Feldes", das die Möglichkeit für das Entstehen von Subjekt und Objekt als solche enthält und in dem es selbst dabei weder Subjekt noch Objekt gibt. Ein Ort der zwischen Subjekt und Objekt als der Möglichkeit nach äußersten Grenze von Ich und Ding ausgespannten geistigen Energie. An diesem Ort selbst gibt es, wie eben gesagt, weder Subjekt noch Objekt. Kein Ding und auch nicht das dieses sehende Ich. Dort gibt es also nichts. Dieser Ort ist absolute Nicht-Artikulierung und absolute Bedeutungsleere. (TI-BuW 314)

Feldstruktur der Zen-Erfahrung

..., dass die Wirklichkeit so wie sie Zen begreift, am besten durch ein gesättigtes Energiefeld dargestellt wird, eine besondere Spannung, die von zwei hauptsächlichen Kräftequellen, dem Subjekt und dem Objekt, aufgebaut wird; wobei das Wort Subjekt im Sinne des ICH (gleich ICH SEHE DIES), das heißt der Aktualisierung des ganzen Feldes, und das Wort Objekt im Sinne des (ICH SEHE DIES gleich) DIES, das heißt wieder der Aktualisierung desselben Feldes, verstanden wird. Wir sahen ferner, wie empfindlich das Gleichgewicht zwischen den beiden Kräften ist. Das Feld selbst bleibt immer erhalten, auf welche Seite der beiden Sphären die innere Energie auch verlagert sein mag. Aber der eigentliche - das heißt bewusste - Punkt, an dem das Gleichgewicht immer erhalten bleibt, bewegt sich ständig durch das gesamte Feld, von der reinen Subjektivität zur reinen Objektivität. (TI-PZB 50)

Im Zen-Buddhismus wird damit viel eher ein dynamisches Kräftefeld in seiner Vollständigkeit und Ganzheit gemeint, ein vollständiges Feld, das weder ausschließlich subjektiv noch objektiv ist, sondern sowohl das Subjekt als auch das Objekt in dem besonderen Zustand vor der Trennung in diese beiden Termini zusammenfasst. (TI-PZB 29)

Noch befremdender und interessanter mag jedoch die Tatsache sein, dass die Selbst-Artikulation des Zen tatsächlich der Kern der Zen-Erfahrung konstituiert; einer Erfahrung, die in der theoretischen Analyse am besten als eigentümliche Weise der (psychologischen und ontologischen) Wirklichkeitsartikulation dargestellt werden könnte. Mit "psychologischer und ontologischer Wirklichkeitsartikulation" ist ein Prozess gemeint, durch den sich die endgültige Wirklichkeit - die als metaphysisches Feld dargestellt werden könnte, das jenseits der Entzweiung in Subjekt und Objekt aktualisiert wird - in eine gewisse Anzahl unterschiedlicher Stadien artikuliert, durch eine graduelle Wandlung des menschlichen Bewusstseins, die sich einerseits im Zustand der tiefen Meditation und andererseits in der natürlichen Artikulation des existentiellen Urgrundes vollzieht. (TI-PZB 86)

So soll das Feld nicht mit dem rein "objektiven" Aspekt der Welt des Seins verwechselt werden, das heißt, die Natur soll nicht als außerhalb des "Geistes" begriffen werden. Es soll auch nicht mit dem rein "subjektiven" Bewusstsein des Menschen verwechselt werden. Das, was das "Subjekt" als "Subjekt" (oder Bewusstsein als Bewusstsein) oder das "Objekt" als "Objekt" (oder Natur als Natur) setzt, ist etwas, das in einem gewissen Sinne diese Unterscheidung zwischen "Subjekt" und "Objekt" transzendiert und sich selbst durch Selbstbestimmung einmal als "Subjekt" und ein anderes Mal als "Objekt" offenbart.

Auf einem solchen Verständnis des Wirklichkeitsfeldes gründet Lin Chi das Bild des Menschen. Für ihn ist der Mensch das Feld. Und es gibt tatsächlich keine andere Art und Weise der Aktualisierung für das Feld. Die Dynamik des Wirklichkeitsfeldes - wie wir sie analysiert haben - kann nur durch den individuellen Menschen aktualisiert werden, noch genauer: durch die innere Wandlung seines Bewusstseins. Der Mensch ist in diesem Sinne der locus der Aktualisierung des ganzen Universums. Und wenn die Aktualisierung an diesem locus wirklich stattfindet, dann wir der "Mensch" in das verwandelt, was Lin Chi den "Wahren Menschen ohne jeden Rang" nennt. Als Aktualisierung des Feldes verkörpert der Wahre Mensch die Dynamik des Feldes. ... Lin Chi bezog sich auf diese Art der Freiheit, die den Menschen als direkte Aktualisierung des Feldes charakterisiert, als er sagte, "der Mensch" werde "der absolute Meister des Ortes", an welchem Ort er auch immer sei. (TI-PZB 53)

Für eine Erläuterung der "Feldstruktur" der Zen-Erfahrung siehe meine Abhandlung "Philosophy of Zen" (in Contemporary Philosophy, Hg. Raymond Klibansky, Vol IV, Florenz 1971). Siehe auch Essay II dieser Ausgabe (Essay III der englischen Ausgabe. (TI-PZB 86)

Siehe: Feldstruktur der Zen-Erfahrung

Beständiges Feld ohne Punkte

Manchmal erscheint es, als würde das Feld eine perfekte Beständigkeit erhalten, ohne dass es in dem gesamten Feld einen herausragenden Punkt als Zentrum dieser Beständigkeit gäbe. Dann erhält sich das ganze Feld in einem Zustand der äußeren Spannung, in dem der Mensch nichts hat, dessen er bewusst sein könnte. In diesem Zustand gibt es weder eine "Subjekt" noch ein "Objekt". Sowohl das ICH als auch das DIES verschwinden von der Oberfläche des Feldes. (TI-PZB 50)

Subjektive Sphäre des Feldes

Manchmal taucht aus der Stille plötzlich ein glänzendes Subjekt-Bewusstsein auf. Die Energie, die das gesamt Feld gleichmäßig erfüllt, wird nun aus dem Zustand der Stille erweckt, sprudelt zu der "subjektiven" Sphäre des Feldes hin und wird endlich als Subjekt kristallisiert. Dann wird das gesamte Feld in dem leuchtenden Pünktchen des ICHS aktualisiert. Nichts anderes ist sichtbar. Die ganze Welt ist nur ICH. ... Das "Ich" ist eine subjektive Kristallisation des gesamten Feldes. (TI-PZB 50f)

Dieses Feld kann aber immer und überall, auf der Stelle, eine Tendenz auf den Pol des "Subjekts" annehmen. Dann neigt sich das Feld der absoluten Unartikuliertheit so wie es ist, als Ganzes und mit all seiner Energie, dem "Subjekt" zu und kristallisiert sich zu der Form des "Subjekts". Baizhang Huaihai sprach: "Ich sitze einfach nur allein auf einem gewaltigen Gipfel." Dies meint Linjis "Wegnehmen der Dinge, Nichtwegnehmen des Menschen." (TI-BuW 314f)

Objektive Sphäre des Feldes

Manchmal fließt die aus der Beständigkeit aufgeweckte Energie in die Richtung der "objektiven" Sphäre des Feldes. Dann ist es das Objekt, das allein sichtbar ist - die stattliche Zypresse, die inmitten der grenzenlosen Leere alles überragt -, obwohl die gleiche Energiemenge, die zu jeder Zeit als Subjekt kristallisiert werden könnte, auch für das Erscheinen des Objekts notwendig ist. (TI-PZB 51)

Das Feld der absoluten Nicht-Artikulierung ist aber grenzenlos dynamisch und flexibel, und sein Wirken ist frei und ohne Hindernis. Kaum dass es sich in diesem Augenblick als Subjektivität des menschen (nin) kristallisiert, hat es im nächsten Augenblick schon den Schwerpunkt seines Wirkens auf den Pol des "Objekts" verlagert und sich als Ding kristallisiert. "Eiche im Garten." "Drei Pfund Flachs." (TI-BuW 315)

Frische Sphäre des Feldes

Endlich ist das Feld wieder in seinen ursprünglichen Zustand der Stille zurückkehren, wobei zugleich dem Subjekt und dem Objekt der richtige Platz im Feld zugewiesen wird. Rein oberflächlich sind wir nun wieder in unserer vertrauten Welt der empirischen Erfahrung, wo die "Blume, natürlich rot und die Weide, natürlich grün, sind". In Anbetracht der inneren Struktur ist jedoch diese unsere alte, vertraute Welt unendlich verschieden von derselben Welt, durch die Augen des rein empirischen Ichs gesehen. Denn unsere alte, vertraute Welt offenbart sich diesmal in ihrer unverdorbenen Reinheit und Unbeflecktheit. Die empirische Welt, die sich einmal in den Abgründen des Nichts verloren hat, kommt zurück ins Leben mit einer ungewöhnlichen Frische. (TI-PZB 50)

Manchmal aber lässt das freie und ungehinderte Feld Subjekt oder Objekt zusammen entstehen, ohne das eine oder andere von ihnen wegzunehmen. Es ist dies Linjis "Weder Mensch noch Ding wegnehmen". ...

Die leibliche Wahrnehmung des Feldes der absoluten Nicht-Artikulierung in seiner ganz besonderen Gestalt des "Weder Mensch noch Ding wegnehmens" hat in China und Japan eine höchst eigentümliche Naturanschauung hervorgebracht. Viele Dichter und Maler haben die Natur von einem solchen Blickpunkt aus dargestellt. (TI-BuW 316)

Dynamische Struktur der Zen-Erfahrung

1. Stadium 2. Stadium 3. Stadium
Artikulation Nicht-Artikulation Artikulation
Differenzierung Nicht-Differenzierung Differenzierung
Vielheit Einheit Vielheit
das Phänomen das Noumenon das Phänomen

Übergang von 1 zu 2

Als kognitiver Prozess stellt die erste Hälfte des Diagramms (1)-(2) den subjektiven Prozess dar, in dem der Geist in immer tieferer Meditation langsam das Bewusstsein des Unterschiedes zwischen den Dingen in der Welt verliert (die völlige Auslöschung des Ich-Bewusstseins mit einbeschlossen), bis er endlich den Zustand des "reinen Bewusstseins" erreicht in Gegenüberstellung zu dem "Wissen um", dem normalen Zustand des Geistes auf dem Stadium der anfänglichen Artikulation. Es bleibt keine Spur des Ichs als Subjekt der Erkenntnis über, nur Bewusstheit - reine Bewusstheit, die sich selbst erleuchtet, ohne dass es ein Subjekt oder Objekt in der geistigen Seinsdimension jenseits von Raum und Zeit gäbe. (TI-PZB 88)

Übergang von 2 zu 3

Der Übergang von Stadium (2) zu Stadium (3) - die eigentliche persönliche Verwirklichung, die das konstituiert, was als satori bekannt ist - ist der Prozess, durch den der Geist das Stadium des reinen Bewusstseins hinter sich lässt, um wieder zu dem Stadium des "Wissens um" zurückzukehren. Die Subjekt-Objekt-Einteilung der Wirklichkeit, die im Stadium (2) völlig ausgelöscht war, wird wieder eingeführt, und das Erkenntnissubjekt nimmt erneut Formen und Farben wahr. Das Subjekt, das einmal durch das Stadium der absoluten Nicht-Artikulation (2) hindurchgegangen ist, muss ein innerliches verwandeltes Bewusstsein sein. (TI-PZB 88)

Erkenntnistheorie des Zen

Dualismus

Das erste Stadium wird angemessen dargestellt durch den Cartesianischen Dualismus, der auf der grundlegenden Dichotomie von res cogitans und res extensa gründet. Diese Philosophie könnte man als ein ontologisches System beschreiben, das sich auf die dualistische Spannung zwischen zwei "Substanzen", die nicht aufeinander zurückführbar sind, stützt. Es kann auch als eine Weltanschauung beschrieben werden, in der der Mensch, das heißt das Ich, die Dinge von außen betrachtet und sich selbst in der Rolle eines Zuschauers befindet. (TI-PZB 24)

Sein-in-der-Welt

Die zweite Phase könnte angemessenerweise durch die Heideggersche Idee des "Seins-in-der-Welt" besondern im dem Zustand der ontologischen Verfallenheit veranschaulicht werden. Anders als in der Situation, die wir gerade in bezug auf die erste Phase der dichotomischen Welt-Sicht betrachtet haben, ist der Mensch hier subjektiv grundsätzlich verwickelt mit dem Schicksal der Dinge, die ihn umgeben. (TI-PZB 24)

Keine Unterscheidung zwischen Ich und dem Anderen

Die Weltanschauung des gesunden Menschenverstandes auf der zweiten Stufe steht dem Zen näher als die erste. Bei genauerem Hinblick sieht man jedoch, dass die empirische Weltanschauung, sei es die der ersten oder der zweiten Stufe, von der Zen-Weltanschauung strukturell verschieden ist. Denn die empirische Weltanschauung wird von einem Intellekt ausgearbeitet, der nur dort funktioniert, wo die Unterscheidung zwischen dem Ich und dem Anderen getroffen worden ist. Der ganze Mechanismus gründet sich explizit oder implizit auf die Überzeugung der unabhängigen Existenz einer Ich-Substanz, die sich den äußeren substantiellen Objekten entgegensetzt. Ob das Subjekt als außerhalb oder inmitten der Welt der Objekte befindlich dargestellt wird, ist belanglos, denn dieser grundlegende Cartesianische Gegensatz muss, so Zen, zerstört werden, bevor der Mensch die Wirklichkeit seiner selbst und der sogenannten äußeren Objekte überhaupt sehen kann. (TI-PZB 25)

Alltags- und Über-Bewusstsein

Der Zen-Buddhist interessiert sich nicht für die verschiebbaren Gesichtspunkte, von denen aus ein Gegenstand betrachtet werden kann, während das "Subjekt" sich immer auf derselben Ebene der alltäglichen Erfahrung befindet. Er denkt eher an zwei völlig verschiedene Bewusstseinsdimensionen, das heißt, er interessiert sich vielmehr für einen plötzlichen, abrupten Sprung des wahrnehmenden Subjekts von der Dimension des Alltagsbewusstseins zu der des Über-Bewusstseins. (TI-PZB 19)

Alltagsbewusstsein Über-Bewusstsein
vikalpa, diskriminierende Erkenntnis prajnâ, transzendentale oder nichtdiskriminierende Erkenntnis
Identifikation, Differenzierung, Kombination
personale, therapeutische Ebene transpersonale, spirituelle Ebene

Kultivierung des Unwillkürlichen

Zen beabsichtigt, den Menschen dahin zu führen, den Zustand des "nicht-Geistes" so systematisch zu kultivieren dass er der normale Bewusstseinszustand wird, damit der Mensch vielleicht alles, die ganze Seinswelt, von diesem günstigen Aussichtspunkt aus zu sehen beginnt. (TI-PZB 22)

Siehe: Unwillkürlich

Phänomenologie des Zen

Siehe: Phänomenologie des Zen

Philosophie des Zen

Quelle: Byung-Chul Han: Philosophie des Zen-Buddhismus

Nirgends Wohnen

Westlich Zen
In-der-Welt-Sein Bei-sich-zu-Hause-sein In-Sein, Im-Wandern-Sein
Mein Leib und meine Seele. Weder der Leib noch der Geist sind mein.
Leib und Seele sind voll Appetit und begehren Leib und Seele werden entleert
bei sich zu Hause sein Das nirgends wohnende Herz
ökonomische Existenz wandernde Existenz
Umzug, Übersiedlung, Versetzung Nirgends wohnen als Wandern ohne Ziel, sterbliches Wohnen
ein Wohnen bei sich zu Hause, bei seinem Besitz ein Wohnen, im offenen Gasthaus ohne das festabgeriegelte Ich
Innerlichkeit und Äußerlichkeit Ohne Gegensatz zwischen Innerlichkeit noch Äußerlichkeit
"Der Mensch der nirgends wohnt, ist nicht bei sich zu Hause."

Dialoge des Zen

Die Natur des Zen-Dialogs eröffnet auf außerordentliche Weise, oder, wie wir sagen würden, vielleicht auf schockierende Weise, die typische chinesische Denkart, die darin besteht, auf der Stelle die ewige Wahrheit in einer konkreten Situation, die niemals wiederholt werden kann, zu erfassen. ... Es ist eine Denkart, die grundverschieden ist von den Denkformen, die in der abstrakten und theoretischen Schicht des Intellekts oder der Vernunft begründet sind. Im Gegensatz dazu ist es eine eigenartige Weise des Denkens, die sich inmitten des konkreten Lebens entwickelt und durch ein konkretes Geschehnis oder konkretes Ding hervorgerufen wird. (TI-PZB 66)

Unterschied zwischen Sôtô und Rinzai Zen

Sôtô Rinzai
Begründer Dôgen Lin Chi I
Erleuchtung stufenweise Erleuchtung plötzliche Erleuchtung
Meditation statisch, schweigende Meditation. unbeweglich wie ein Felsen. dynamisch, Koan-lösende Meditation
Praxis zasen Koan
Konzentration keine Konzetration Konzentration auf ein Koan

Glossar der Zen-Begriffe

Japanisch Lesung Romaji Bedeutung
断捨離 だんしゃり danshari Ablehnung, Wegwerfen und Loslassen unnützer Dinge (als Form der Lebenskunst; 2009 von Yamashita Hideko geprägter Begriff).
己事究明 こじ・きゅうめい koji·kyūmei Ergründung des Selbst; Erforschung des eigenen Wesens.
見性成仏 けんしょう・じょうぶつ kenshō·jōbutsu Erleuchtung durch das Erkennen des eigenen Ichs.