Mein Gefühl: Unterschied zwischen den Versionen

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Hineingeraten oder Konstruieren? Zur Phänomenologie des Darin-Seins
 
Hineingeraten oder Konstruieren? Zur Phänomenologie des Darin-Seins
  
Wir erleben wir es, Stellvertreter in Auftellungen zu sein? Erleben wir die Gefühle eher von außen kommend, oder von innen sich zeigend? Was ist dran, an den räumlichen Metaphern unserer Sprache, wenn es heisst: "von Trauer übermannt werden", "die Wut packt einen", "von stiller Freude durchströmt"?
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Wie erleben wir es, Stellvertreter in Auftellungen zu sein? Erleben wir die Gefühle eher von außen kommend, oder von innen sich zeigend? Was ist dran, an den räumlichen Metaphern unserer Sprache, wenn es heisst: "von Trauer übermannt werden", "die Wut packt einen", "von stiller Freude durchströmt"?
  
 
Erleben wir als Stellvertreter die Gefühle oder Regungen als konstruiertes, oder als etwas, in das wir hineingeraten?  
 
Erleben wir als Stellvertreter die Gefühle oder Regungen als konstruiertes, oder als etwas, in das wir hineingeraten?  

Version vom 31. Dezember 2010, 00:04 Uhr

Hineingeraten oder Konstruieren? Zur Phänomenologie des Darin-Seins

Wie erleben wir es, Stellvertreter in Auftellungen zu sein? Erleben wir die Gefühle eher von außen kommend, oder von innen sich zeigend? Was ist dran, an den räumlichen Metaphern unserer Sprache, wenn es heisst: "von Trauer übermannt werden", "die Wut packt einen", "von stiller Freude durchströmt"?

Erleben wir als Stellvertreter die Gefühle oder Regungen als konstruiertes, oder als etwas, in das wir hineingeraten?

Diese phänomenologische Frage, soll unabhängig von ursächlichen Fragen gestellt werden, und erbittet von jedem eine ehrliche Auskunft. Meine Antwort lautet: Ja, ich erlebe die Gefühle als Stellvertreter als etwas, in das ich hineingerate.

Wenn es anderen auch so geht, und wir dieses Gefühl des Hineingeratens ernst nehmen, dann müssen wir das Gefühl und das Fühlen des Gefühl voneinander trennen. Das Gefühl ist als räumliche Atmosphäre zu verstehen, in die man fühlend hineingeraten kann. Das Gefühl hat als Atmosphäre eine räumliche Komponente, und lässt sich von der persönlichen Komponente des Fühlens unterscheiden. Das Gefühl ist damit etwas scheinbar Objektives, im Unterschied zum eher subjektiven Fühlen des Gefühls, das einmal ergreifend ein anderes mal bloß wahrnehmend sein kann.

Wenn sich Gefühl vom Fühlen des Gefühls unterscheiden lässt, dann wird es auch verständlicher, wieso jeder beliebige Stellvertreter (Zugang zur eigenen Körperwahrnehmung vorausgesetzt) ein Gefühl fühlen kann, auch wenn es gar nicht seines ist. Man könnte sagen: Eine Aufstellung erzeugt Gefühle, in die Stellvertreter fühlend hineingeraten.

Die Frage bleibt: Welche Gefühle sind das, die da aufgestellt werden? Sind es die Originalgefühle der aufgestellten Person oder eine Kopie davon, oder weder noch? Nun, wenn man das Gefühl vom Fühlen der Gefühle unterscheidet, und das Gefühl damit keine unräumliche Privatsache mehr ist, dann ist es auch möglich zu denken, dass sowohl Stellvertreter als auch die aufgestellte Person dasselbe Gefühl aufstellen, da es ja in keinem Besitz ist. Jeder hat sein eigenes Fühlen (das natürlich auch individuell geprägt ist), aber sie fühlen beide das gleiche atmosphärische Gefühl, in das der Stellvertreter quasi räumich hineintreten kann. Gefühle sind daher wegen ihrem räumlichen atmosphärischem Charakter kein Privatbesitz, sondern lediglich Zustände, die auch von Stellvertretern gefühlt werden können, wenn sie - Anliegen und Einladung vorausgesetzt - hineintreten. Im Gefühl sind Stellvertreter und das zu repräsentierende Element leiblich verbunden. Und insbesondere bei gefühlsbeladenen Atmosphären wie der Trauer oder der Freude ist es völlig einsichtig, dass ein uns dasselbe Gefühl auch von mehreren weit entfernten Personen gleichzeitig gefühlt werden kann. Wer hat sich nicht schon mal mit jemandem anders am Telefon gefreut oder mitgeweint und so die Stimmung geteilt?

Wenn sich also Stellvertreter und Originalperson die gleiche gefühlsbeladende Atmosphäre teilen, dann ist es auch verständlich wieso es zu instantanen Veränderungen kommen kann, sobald sich durch z.B. durch Stellungswechsel das Gefühl des Stellvertreters in der Aufstellung ändert. Es handelt sich also nicht nur um einen einseitigen Wahrnehmungsprozess von einem fremden Gefühl, und auch nicht um einen wechselseitigen Informationsaustausch zwischen dem Stellvertreter und der Originalperson, sondern um Wirkungen direkt auf die gemeinsame Atmosphäre von Stellvertreter und Originalperson.

Wenn je nach Anliegen sich das Gefühl zeigt, das aufgestellt wird, dann folgt daraus, dass jedes aufgestellte Element, also nicht nur Personen, sondern auch Abteilungen oder Teams wie bei Organisationsaufstellungen üblich ein eigenes Gefühl als Atmosphäre haben. Das führt zu der Annahme, dass wir alles aufstellen können, was ein Gefühl ist. Wäre es also denkbar, dass alles eine Gefühlskomponente hat?

Genau in diese Richtung geht auch die Annahme der modernen analytischen Philosophie, der sogenannten "Panpsychismus", der animmt, dass alles und jedes eine Psyche, oder besser sogenannte "proto-mentale Eigenschaften" hat. Diese Position wird ernshaft unter seriösen Wissenschaftler diskutiert, und als Lösung des bislang unlösbaren Leib-Seele-Problems diskutiert.

Von größerer Tragweite als der Panpsychismus ist jedoch die Unterscheidung des Gefühls vom Fühlen des Gefühls. Das würde nämlich voraussetzen, dass man prinzipiell auch andere Gefühle fühlen kann, als die, mit denen man tagtäglich vertraut ist.

Wenn als auch ungewohnte Gefühle gefühlt werden können, dann wäre es plausibel, wieso ein Aufsteller oder auch die Stellvertreter selber spüren können, wenn in der Aufstellung noch etwas fehlt: nämlich ein Stellvertreter für ein bereits wahrnehmbares Gefühl. Gefühle sind also auch ohne Stellvertreter prinzipiell wahrnehmbar, eben als räumliche Atmosphäre. Wählt man einen Stellvertreter für das wahrgenommene Gefühl aus, dann fühlt sich das Bild kompletter an.

Die These dass sich Gefühle vom Fühlen des Gefühls unterscheiden lassen, scheint auf den ersten Blick ungewohnt und unvernünftig. Die Vorstellung, dass Gefühle scheinbar etwas Räumliches sind, in das man fühlend Hineingeraten kann, ist natürlich nicht neu, und hat seine ganz eigene Tradition, die wir uns in Erinnerung rufen sollten:

Es war ziemlich genau 500 v.Chr. als von Demokrit die Unterscheidung zwischen einer gemeinsamen messbaren Außenwelt und einer je privaten Innenwelt konsequent formuliert wurde, und damit Gefühle als der privaten Innenwelt zugehört gesprochen wurden. Diese zentrale Unterscheidung war vorallem hilfreich, um sich auf die reduzierten Merkmale der Außenwelt zu stützen und damit experimentell zu forschen und nach allgemein akzeptierten Tatsachen in dieser Außenwelt im Sinne des wissenschaftlichen Fortschrits zu suchen. Diese wurde über die Jahrtausende gefunden, und haben uns viel Wohlstand und zahlreiche verwertbare Erkenntnisse und Anwendungen verschafft. Die Fortschritte der Naturwissenschaft wären ohne diese Unterscheidung nicht möglich gewesen, insofern war sie sehr hilfreich. Doch sie bleibt nicht die einzig mögliche.

Wäre anstelle der Unterscheidung zwischen gemeinsamer Außenwelt und privater Innenwelt ein anderer Gedanke federführend gewesen, sähe das Weltbild ganz anders aus. Wenn z.B. nicht von einem Sein der Innen- und Außenwelt, sondern von dem Darin-Sein von Einzelnem und Welt gesprochen worden wäre. Wie z.B. in der modernen japanischen Philosophie von Nishida Kitaro, wo nicht von dem "Sein" sondern ursprünglicher von dem "Darin-Sein" in einem Ort (basho) ausgegangen wird. Dann ist die ursprünglichste Erfahrung, die des Hineingeratens bzw. des Hineingestelltseins. Die erste Unterscheidung ist dann die zwischen dem Menschen und der Atmosphäre, in der er sich immer schon befindet, wohlwissend, dass das Darin-Sein dieser Unterscheidung primär ist, und nicht das Sein der beiden. Dann ist es auch anschaulich, wieso auch von einem Gefühl ausgegegangen werden kann, in dem man sich befindet, und nicht, als etwas, das man als Besitz hat (Nicht "ich habe Hunger", sondern "Im-Hunger-Sein"). Hier könnte man mit Heideggers "In-Der-Welt-Sein" anknüpfen, das er als grundlegende Existentiale der Welt beschreibt.

Wenn man an diese Tradition des gedachten Hineingeratens anküpfend, das Gefühl als Atmosphäre versteht, in der sich der Mensch befindet, dann ist obige Phänomenbeschreibung einsichtiger, dass der Mensch und auch jedes Lebewesen grundsätzlich gar nicht anders kann, als in ein Atmosphäre zu geraten. Das Einsteigen in eine Stellvertreter-Rolle ist dann weniger mysthisch oder rituell, wenn wir uns vergewissern, wie natürlich wir stets der ganzen Wetter- und Klimaatmosphären ausgesetzt sind. Gerade erst in Zeiten der Klimakrise wird uns das schmerzlich bewusst, dass das Darin-Sein viel lebenswichtiger ist, wie jegliches geschaffene Sein. Der Mensch ohne Blase (Sloterdeijk) kann nicht sein, und ist deshalb immer Darin, wie uns auch die Sprache verdeutlicht, wenn wir sagen: "von Trauer übermannt werden", "die Wut packt einen", "von stiller Freude durchströmt" etc.