Multichannel-Erlebnis und ganzheitliche Pädagogik

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Multichannel als Lernen mit allen Sinnen!

Ganzheitliche Pädagogik: Lernen mit allen Sinnen

Multichannel ist nicht neu. Schon der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) hat das Lernen mit allen Sinnen in der Pädagogik eingebracht und spricht vom Lernen mit "Kopf, Herz und Hand". Damit spricht er drei wichtige Kanäle an, die als Ganzheit für das menschliche Lernen und die persönliche Weiterentwicklung wichtig sind. Er ist distanziert sich damit von nur verkopften, theoretischen Lernangeboten, und möchte den Schülern ein ganzheitliches Lernerlebnis bieten. Mit diesem Anspruch gilt er er „Symbol der Aufklärungspädagogik“ und als „Begründer der modernen Sozialpädagogik“.

Auch Multichannel nutzt alle Kanäle und Sinne

Auch ein echtes Multichannel-Angebot versucht, den Kunden auf mehreren abgestimmten Kanäle zu erreichen und ihm ein einheitliches Produkt- und Markenerlebnis anzubieten. Dazu kommt dass immer neue Kanäle und Touchpoints geschaffen sowie untereinander vernetzt werden. Der Kunde findet sich förmlich in einem immer dichter werdenden Netz von Kommunikationsangeboten, die ihn auf mehreren Sinneskanälen gleichzeitig ansprechen.

Das Ganze ist mehr wie die Summe seiner Teile

Der Erfolg der Mutlichannel-Strategie wird aber letztlich nicht durch die Anzahl der Kanäle bestimmt. Denn ebenso wie in der Pädagogik bestimmt nämlich nicht die Anzahl der erlebten Sinne den Lernerfolg, sondern die ganzheitliche Bedeutsamkeit einer konkreten Situation.

Wie auch beim "Lernen mit allen Sinnen" wird nicht jeder Sinn einzeln angesprochen, sondern der menschliche Leib mit all seinen Sinnen als "Gemeinsinn" oder sensus communis. Der Mensch wird also in dieser ganzheitlichen Sicht zurecht nicht nur als Mehrzahl von Sinneseingangskanälen angesehen (Multi-Sense-Human: MSH), sondern als sich erfahrendes Wesen, dass sich als leibliche Gesamtheit erlebt (Embodiment). Dieser Wechsel in der Auffassung des Menschen, ist eine radikaler Umschwung in vielen Diszipilinen, bis hin zur Kognitionswissenschaft.

Eine ganzheitliche Erfahrung ist also mehr als die Summe der Sinnesreizungen. So kann der Mensch über eigenleiblichen Empfindungen auch atmosphärische Qualitäten von Situationen wahrnehmen, die sich überhaupt nur ganzheitlich, mit einem "sechsten Sinn" erfassen lassen. Diese situative Erfahrbarkeit von Stimmungen muss ein Multichannel-Management daher wesentlich berücksichtigen. Ein ganzheitliches Multichannel-Erlebnis ist daher mehr wie die Summe kanalspezifischer Sinneserlebnisse und lässt sich auch nicht nachträglich durch eine geschickte Vernetzung der Kanäle erreichen. Es geht also nicht primär um die Erhöhung der Anzahl von Sinneskanälen und Vernetzungen, sondern um die Bedingungen für eine ganzheitliche Wahrnehmung. Viele Solisten geben noch kein gutes Orchester.

Mit Multichannel gegen die Bilderflut

"Lernen mit allen Sinnen" versucht sich gegen die Bilderflut der digitalisierten Welt zu behaupten, in der schon Kinder durchschnittlich mehr als vier Stunden täglich vor einem Bildschirm sitzen. Denn eine Flut von Bildern, denen keine reale, leibliche Begegnung entspricht, hinterlässt auch keine bleibenden Eindrücke, sondern eher eine Leere, die eine Sucht nach immer neuen Bildern erzeugt. Es kann nicht darum gehen, diese Entwicklung zu beklagen, sondern sie im Bewusstsein zu halten und vor allem Kompensationen zu schaffen, die der sinnlichen und tätigen Erfahrung wieder den notwendigen Raum geben. Multichannel kann hier ebenso wie die Pädagogik einen Gegenakzent setzen und gegen die Bilderflut und Entsinnlichung der modernen Welt mehr ganzheitliche bleibende Eindrücke über alle Kanäle hinweg ermöglichen. Dass bedeutet dann auch konkret hin zu den realen Orten des Da-Seins, wo sich der Mensch auch leiblich be-finden kann, ohne Gefahr in einer mit elektronischen Touchpoins ausgestatteten omnipräsenten Bilderwelt zu ertrinken. Multichannel ist keine Mehrkanal-Bilderflut.

Transparenz der Kanäle

Ebensowenig wie jeder Musiker eines Orchesters als Solist hervortönen soll, sollen auch die Kanäle und Sinne nicht als solche ins Bewusstsein rücken, sondern zum Medium werden, durch das uns die Welt zugänglich und verfügbar wird. So richtet sich die Aufmerksamkeit etwa beim Lesen oder Schreiben nicht mehr auf die einzelnen Buchstaben oder Fingerbewegungen, sondern direkt auf die intendierten Worte. Der Blinde nimmt seine Umgebung vermittels eines Stockes wahr (und zwar an der Spitze, nicht an der Hand). Der geübte Autofahrer hat sich das Fahrzeug "einverleibt", also ein Gefühl für seine Maße und sein Fahrverhalten entwickelt, so wie der erfahrene Seemann ein Gefühl für sein Schiff hat. Auch im Multichannel müssen die Kanäle transparent werden für das was sich zeigen soll. Die Kanäle haben zwar ihre Besonderheit aber selbst keine Botschaft, sondern nur den Sinn, das Durchscheinen zu ermöglichen. Multichannel lebt die Transparenz der Kanäle.

Vertrautheit durch Ähnlichkeit

Die Transparenz der Kanäle ermöglicht es, dass Ähnliches trotz unterschiedlicher Kanäle wiedererkennbar wird. Aristoteles schreibt: "Die Kunst entsteht dann, wenn sich aus vielen durch die Erfahrung gegebenen Gedanken eine allgemeine Annahme über das Ähnliche bildet". Erfahrung basiert daher auf erkennbarer Ähnlichkeit und ist somit etwas ganz anderes als das Sammeln von kanalspezifischen Daten. Eine echte Multichannel-Erfahrung ist daher keine quasi-hypnotische Sinnesreizung auf allen Kanälen, sondern eine Erfahrung der Vertrautheit durch Ähnlichkeit: Etwas "erinnert" an etwas anderes, sieht im gleich, kommt einem bekannt vor.

Der Kunde als Konzertdirigent

Bei einem Konzert schwebt die Melodie förmlich über dem Orchester, obwohl oder gerade weil jeder Musiker seine eigene Partitur mit seinem spezifischen Instrumentalklang spielt. Analog dazu soll der Multichannel-Kunde ebenso im Konzert der Kanäle die Klänge und Stimmen auf ganz unterschiedlichen Instrumenten erfahren dürfen, damit sich ihm die transponierbare Gestaltqualität der Melodie überhaupt erst erschließt. Der Multichannel-Kunde versteht sich zudem nicht als passiver Empfänger von virtuellen Bildern, sondern als Konzertbesucher, der sich zugleich als Dirigent in eine synästhetischen, atmosphärischen Gesamtsituation als autonom Handelnder erleben möchte. Wahrnehmen und Bewegung bleibt in dem Multichannel-Erlebnis stets ineinander verschränkt.

Nicht geringer ist der Anspruch der ganzheitlichen Pädagogik, der den Lernern die Wahl der Sinnesangebote ebenso ermöglicht, wie die Entdeckung von neuen Fragen in angeleiteten pädagogische Situation. Und ohne diese Ausrichtung auf diese situative Ganzheit, in der sich Lerner wie Kunde beide befinden, entsteht keine Bedeutsamkeit, die den den nächsten Schritt einleitet. Im Multichannel ebenso wenig wie in der Pädagogik.