Wahrnehmung: Unterschied zwischen den Versionen
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{{c|Aus meinem Protest gegen die Vorstellung von Akten des Wahrnehmens ergibt sich bei mir eine Abneigung gegen die naheliegende Zumutung, in der Ausdrucksweise zwischen dem Wahrnehmen und dem Wahrgenommenen stets scharf zu scheiden. Genauigkeit in der Terminologie ist zwar eine wichtige Aufgabe, die ich – die Fallstricke der Begriffsverwirrung ebenso wie den halb unehrlichen "Zauber mit Worten" gründlichst scheuend – sehr ernst nehme, aber schwerer als die Aussicht auf Gewinn solcher Genauigkeit wiegt bei mir in diesem Fall die Sorge vor Verstrickung in die irreführende Suggestionskraft der Gegenüberstellung Aktiv und Passiv; sobald man sich fragt, was dem jeweils Wahrgenommenen auf der Subjektseite "entspricht", ist man schon auf dem Abweg der älteren phänomenologischen Schule, die uns lauter "Akte des Bewusstsein" mit reichem Zubehör beschreibt und dadurch den Zugang zu den Phänomenen der Wahrnehmung verstellt. Lieber spreche ich von der Wahrnehmung im Ganzen, in der Subjekt und Objekt durch leiblichen Kommunikation – eventuell sogar im chaotischen Verhältnis – mit einander verwoben sind, und meine damit das Wahrgenommene in der Weise, wie dieses in der Wahrnehmung sich gibt und das Subjekt so anspricht, dass auch dieses in leiblicher Kommunikation in die Wahrnehmung einbezogen ist, also einschließlich der Anteilnahme des Subjekts.|S-III5 26}} | {{c|Aus meinem Protest gegen die Vorstellung von Akten des Wahrnehmens ergibt sich bei mir eine Abneigung gegen die naheliegende Zumutung, in der Ausdrucksweise zwischen dem Wahrnehmen und dem Wahrgenommenen stets scharf zu scheiden. Genauigkeit in der Terminologie ist zwar eine wichtige Aufgabe, die ich – die Fallstricke der Begriffsverwirrung ebenso wie den halb unehrlichen "Zauber mit Worten" gründlichst scheuend – sehr ernst nehme, aber schwerer als die Aussicht auf Gewinn solcher Genauigkeit wiegt bei mir in diesem Fall die Sorge vor Verstrickung in die irreführende Suggestionskraft der Gegenüberstellung Aktiv und Passiv; sobald man sich fragt, was dem jeweils Wahrgenommenen auf der Subjektseite "entspricht", ist man schon auf dem Abweg der älteren phänomenologischen Schule, die uns lauter "Akte des Bewusstsein" mit reichem Zubehör beschreibt und dadurch den Zugang zu den Phänomenen der Wahrnehmung verstellt. Lieber spreche ich von der Wahrnehmung im Ganzen, in der Subjekt und Objekt durch leiblichen Kommunikation – eventuell sogar im chaotischen Verhältnis – mit einander verwoben sind, und meine damit das Wahrgenommene in der Weise, wie dieses in der Wahrnehmung sich gibt und das Subjekt so anspricht, dass auch dieses in leiblicher Kommunikation in die Wahrnehmung einbezogen ist, also einschließlich der Anteilnahme des Subjekts.|S-III5 26}} | ||
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+ | === Chaotisches Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt === | ||
+ | {{c|Dabei handelt es sich, ohne dass der terminus erwähnt würde, um einen Spezialfall leiblicher Kommunikation, die sich bei schlichter Wahrnehmung mit chaotischem Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt verbindet. Dieses chaotische Verhältnis dient mir dort als Hebel, um die phänomenologisch verkehrte, in Fiktion verstrickte Annahme einer obligaten Korrelation von Subjekt und Objekt der Wahrnehmung (z.B. in Gestalt einer regelmäßigen Entsprechung zwischen wahrnehmendem Akt und wahrgenommenem Gegenstand) aus den Angeln zu heben.|S-III5 72}} | ||
== Wahrnehmung als Wahrnehmung von Situationen == | == Wahrnehmung als Wahrnehmung von Situationen == |
Version vom 5. April 2018, 06:58 Uhr
Körper- und Leibwahrnehmung
Körperwahrnehmung | Leibeswahrnehmung | |
---|---|---|
Physiologische Sinnes-Wahrnehmung | Leibliche Primär-Wahrnehmung: Einleibung als Kommunikation | |
Registrieren von Empfindungen | Bemerken, was los ist | |
Notwendige Bedingung | Sinneskanäle | Leibliches Gespür für Situationen |
Passiv, Patheur |
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Aktiv, Akteur |
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Medium | Suche und Besuch als Metapher | Resonanz, Sympathie als Metapher |
Identität und Verschiedenheit | mit Bestimmtheit als Einzelne | ohne Bestimmtheit als Einzelne |
Sehen | als Zusehen, Beobachten | als Blick |
Sympathetische Wahrnehmung
Wahrnehmungstypen
Rezeptives Wahrnehmen | "Aktives" Wahrnehmen | |
---|---|---|
Aktiv-Passiv-Schema | Passives empfängliches Wahrnehmen | Aktives Wahrnehmen
Wegen aktivem Anteil: Nähe zum Konstruktivismus |
Identität und Verschiedenheit | mit Bestimmtheit als Einzelne | ohne Bestimmtheit als Einzelne |
Sehen | als Zusehen, Beobachten | als Blick |
Rezeptives Wahrnehmen
Klassische Wahrnehmung bei Kant.
Einleibendes Wahrnehmen: Wahrnehmung 3./0. Ordnung
Keine Beobachtung 1. oder 2. Ordnung, sondern Wahrnehmung 3. Ordnung:
- optisch-motorisches Wahrnehmen: Passenten überqueren eine Straße
- taktil-motorisch: Beherrschen eines musikalischen Instruments, oder einer Schreibmaschine
- taktil-vibratorisch: Autofahrer bei einem drohenden Unfall
Einleiben in Situationen.
Arten der Wahrnehmung
Leib als "Nullpunkt der Orientierung" (Husserl).
Siehe: Beobachtung
1. Ordnung: Realismus
Eine vorgegebene Wirklichkeit.
2. Ordnung: Idealismus
Viele geschaffene Wirklichkeiten.
3. Ordnung: Wahrnehmung als Beziehungsqualität
Wahrnehmung als Synthese oder Explikation
- Wahrnehmung als Synthese, Konstruktion von einzelnen Sinnesdaten: Konstruktivismus
- Wahrnehmung als Explikation von Situationen: Explikationismus
Einheiten der Wahrnehmung
Spannbreite des Wahrnehmens
Ein Gefühl braucht nicht ergreifend zu sein, um wahrgenommen zu werden. Es kann auch bloß wahrgenommen werden.
Bsp eines bloß wahrgenommenen Gefühls: Wie atmet rings Gefühl der Stille, Der Ordnung, der Zufriedenheit (Faust Vers 2691 f.)
Spannbreite:
- gegenständliche Atmosphäre
- ...
- von der Atmosphäre mit einer Spur affektiven Betroffenseins gestreift und angerührt.
- ...
- Atmosphäre als ergreifende Macht
(Vgl.: S-WNP 178)
Gegenstände der Wahrnehmung
Jeder normal wahrnehmungsfähige, vollsinnige Mensch nimmt
- Dunkelheit,
- Stille,
- leeren Raum, Zeit (in Schall und Bewegung)
- sowie Atmosphären von der Art des Klimas, der klimatisch-optischen Atmosphären (heiterer Morgen, friedlicher Abend, Gewitterstimmung) und der Gefühle,
- ganz besonders aber Sachverhalte und Situationen so gut wie
- Farben,
- Schälle, Flächen
- und Bewegungen wahr, oder schärfer und prompter noch;
- beim Blick aus dem Fenster an einem trüber Tags ehe wir oft deutlich, dass es regnet oder diesig ist, eher wir Farben, Formen und Bewegungen da draussen genau ins Auge fassen. (S-III5 189)
Alle genannten Gegenstandssorten außer Farben, Schällen, Flächen und Bewegungen passen nicht in die physiologistische Auffassung der Wahrnehmung,
- teils weil sie (wie Dunkelheit, Stille, leerer Raum, Zeit, Sachverhalte und Situationen) keinen physischen Signalen an die Sinnesorgane spezifisch zugeordnet werden können,
- teils (im Fall der Atmosphären), weil es unmöglich ist, sie in umschriebenen Sendern solcher Signale unterzubringen. (S-III5 189)
Keine Trennung von Wahrnehmungssubjekt und Wahrnehmungsobjekt
Viele Sprachen neigen durch ihre Aktiv-Passiv-Struktur dazu, diese Trennung von Wahrnehmungsakt und Gegenstand zu betonen. Neben dem Aktiv und Passiv ist das Medium ein Form, die uns alternative Strukturen vorstellbar werden lässt.
Chaotisches Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt
Wahrnehmung als Wahrnehmung von Situationen
Intuitive Wahrnehmung
Klimatische Wahrnehmungsweise
Es ist so schwül, so dumpfig hie
Und ist doch eben so warm nicht drauß.
Es wird mir so, ich weiß nicht wie -
Ich wollt, die Mutter käm nach Haus.
Siehe: Klima
Intersubjektivität der Wahrnehmung
Intersubjektive Nachprüfbarkeit
- Intersubjektivität der Wahrnehmung durch Festkörperglaube.
Objektivität der Wahrnehmung
- individuelle Distanz (exzentrische Positionalität)
- implizite Intersubjektivität (implizite Teilnehmerperspektive)
Individuelle Distanz
Siehe: (Naiver) Realismus
Soziale Teilnehmerperspektive
Kultivierte Wahrnehmung
Siehe: Kulturelle Bedingungen der Explikation
Repräsentierende und präsentische Wahrnehmung
Repräsentierende Wahrnehmung
Repräsentierende Wahrnehmung ist die stellvertretende Wahrnehmung von etwas, z.B. als Stellvertreter in Aufstellungen.
Voraussetzung: Trennung von Zeichen und Bedeutung.
Repräsentierende Wahrnehmung als einseitige Einleibung in Explikate.
Kritik:
- Kritik an dem Repräsentations-Paradigma, sowie dem Isomorphiemodell der Wahrheit
- Kritik an einem repräsentationalistischen Wahrnehmungsbegriff: Nicht nur innere Repräsentationen sondern auch äußere Repräsentationen im Raum.
Präsentische Wahrnehmung
Wahrnehmung geschieht immer in leiblicher Präsenz als Gegenwartsmoment. Das wichtige ist gerade, in der Präsenz als Aufmerksamkeit zu bleiben, und fremde von eigenen Gefühlen zu unterscheiden.
Stellvertreterphänomen in Aufstellungen: Präsentische Wahrnehmung einer evokatorisch-projektiven Identifikation mit einem situativen Explikat, häufig einem Endpunkt eines gerichteten Gefühls.
Keine Repräsentation sondern ein Sich-Zeigen.
Zusammenhang von Wahrnehmung und eigenleiblichem Spüren
Phänomenologische und naturwissenschaftliche Wahrnehmung
Die Phänomenologie der Wahrnehmung steht in Konkurrenz mit anderen Disziplinen, die beanspruchen Experten für Wahrnehmungen zu sein: die Sinnesphysiologie, Neurophysiologie etc.
Gemessen an dem Erfolg der letzteren [der Sinnes- und Neurophysiologie] und insbesondere ihrer technischen und therapeutischen Anwendbarkeit scheint es nötig, das Unternehmen einer Phänomenologie der Wahrnehmung zu legitimieren und in ein Verhältnis zur Neurophysiologie zu setzen. (B-LaA 41)
Ebenso wie bei der Natur, besteht Auslegungskonkurrenz.
Gnostische und pathische Wahrnehmung
Gnostische Wahrnehmung | Pathische Wahrnehmung |
kognitives System | pathisches System |
Objektivität ensteht aus dem Zusammenspiel des affektiven und des kognitiven Systems, aus der Komplementarität des pathischen und des gnostischen Wahrnehmens. (F-LRP 244)
Gnostische Wahrnehmung
im kognitiv und rational strukturierten Raum dauerhafter Sachverhalte
Pathische Wahrnehmung
Resonanzphänomene im präsentisch geprägten Stimmungsraum.
Beispiel Natur: Naturdinge und -räume gleichen Saiten, die durch den Menschen in seiner Gestimmtheit erst zum Klingen gebracht werden. (F-LRP 239)