Verfehlungen

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Die psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistische Verfehlung

Die psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistische Verfehlung des abendländischen Geistes zersetzt die den Menschen gemeinsamen Situationen in Konstellationen privater Innenwelten, verleugnet die räumliche Ergossenheit leiblich ergreifender Gefühle und verkennt mit dem Leib auch die leibliche Kommunikation. Sie erzeugt dadurch die autistische Verfehlung und schafft Boden für die dynamistische, nämlich den Psychologismus als Voraussetzung für die Selbstbemächtigung und den Reduktionismus als Voraussetzung für die Weltbemächtigung. (S-AHG 37)

Hier geht es um die Ausbildung eines Innenraums, der dann Seele genannt wird und als Träger der menschlichen Emotionen fungiert; diese Innenwelt leistet zugleich die Abwehr und Beherrschung der auf den Menschen von außen eindringenden Anmutungen und Zumutungen. (B-Fest80 25)

Siehe auch:

Die dynamistische Verfehlung

Der Dynamismus führt zur Selbstbemächtigung und Weltbemächtigung

Die Selbstaneignung und Etablierung einer inneren Herrschaftsinstanz und dann in der Folge um die Aneignung und Beherrschung der Natur. (B-Fest80 25)

In der Dialektik der Aufklärung wird auf vergleichbare Weise die Dialektik von Naturbeherrschung und Selbstbeherrschung als Motor eines fatalen Fortschritts aufgefasst. Schmitz spricht von Francis Bacon als dem Vollender der dynamistischen Verfehlung des abendländischen Geistes. (Heubel 44)

Dabei wird die Heilung der dynamistischen Verfehlungen vorgezeichnet durch die Entdeckung, dass die Gegenwart kein Punkt auf einer Zeitstrecke ist, sondern ein Spielraum, gleichsam trichterförmig ausgespannt zwischen der primitiven Gegenwart (dem Urereignis der Abhebung aus der Ergossenheit in das Kontinuum gleitender Dauer, dem fünffach erweiterten Plötzlichen: Hier-Jetzt-Sein-Dieses-Ich) und der entfalteten Gegenwart, die die Welt als Horizont des freien Dieses ist.. (S-AHG 379)

Die ostkirchliche Frömmigkeit bleibt von der dynamistischen Verfehlung des abendländischen Geistes verschont, weil sie weniger an die synoptischen als an die johanneischen Schriften anknüpft und in starkem Maße ein Erbe des heidnischen Neuplatonismus bewahrt. Verschont bleibt auch der Islam, der zwar nicht weniger als das Christentum das Machtthema in den Vordergrund stellt, aber die Unberechenbarkeit der Machtausübung Gottes und seiner irdischen Vertreter (etwa des Kalifs, des Sultans) soweit des Schicksals so sehr betont, dass eine planmäßige systematisierte Selbst- und Weltbemächtigung des Menschen keine Chancen hat. (S-AHG 42)

Nachdem das an das Machtinteresse gebundene affektive Betroffensein im abendländischen (weströmischen) Bereich sich von Gott entbunden und zur imperialistischen Weltbemächtigung entschieden hat, wird es frei zum Durchbruch der modernen Technik mit dem triumphalistischen Anspruch des Menschen auf Herrschaft über die Natur. (S-AHG 42)

Die autistische Verfehlung

Kritik am atomistischen Individualismus, z.B. als Kommunitarismus.

Kritik an der Auflösung gemeinsam implantierender Situationen.

Die autistische Verfehlung des abendländisches Geistes besteht in der Zersetzung implantierender Situationen - des Nomos, der aus dem Hintergrund der gemeinsamen Situationen die individuelle Lebensführung steuert, mit breitem Spielraum zur Auseinandersetzung - in Konstellationen einzelner, isolierter persönlicher Situationen. Sie geht aus der psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistischen Verfehlung hervor, ... (S-AHG 55)

Die autistische Verfehlung ist eine Konsequenz der psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistischen Verfehlung, nämlich der Selbstdefinition des Menschen als Seele, wodurch er sich auf die anderen Menschen und die Außenwelt nur bezieht, insofern sie innerpsychisch repräsentiert sind und seine Emotionalität nicht mehr eine Involviertheit in die Außenwelt, sondern nur seine Teilnahme an den eigenen inneren Zuständen als Lust und Unlust reflektiert. (B-Fest80 25)

Dieser gegenwärtiger Stand der autistischen Verfehlung des abendländischen Geistes belastet das aus implantierenden Situationen freigesetzte, sich selbst überlassene Individuum doppelt: Es kann nicht zu sich (d.h. zu seiner Persönlichkeit) finden und es kommt nicht über sich hinaus, da es nicht von einem überpersönlichen Nomos geführt wird. Der autistisch freigelassene Mensch hängt gleichsam an einer dünnen Membran zwischen sich und seiner Umgebung fest und kann sich nur noch auf deren Oberfläche bewegen; in die Tiefe zu sich und die Tiefe um sich führt ihn kein stetig gerichteter Zug mehr. (S-AHG 385)

Mit der dynamistischen Verfehlung verbindet sich die autistische Verfehlung. Sie verliert ihre Glaubwürdigkeit prinzipiell mit der Widerlegung des Nominalismus und des Konstellationismus, ... (S-AHG 379)

Der Ersatz des Nomos implantierender Situationen (Topos) durch Konstellation einzelner Normen (Logos).

Topos Logos
Nomos implantierender Situationen Konstellation einzelner Normen

Geschichte der autistischen Verfehlung

Einen maßgeblichen Beitrag zur autistischen Verfehlung leistet der platonische Sokrates mit der systematischen Zersetzung kommunikativer Kompetenzen für den Nomos durch sein Definitionsverlangen, womit er die Könner ganzheitlichen Inneseins im Sichverstehen auf die gemeinsame implantierende Situation eines Tugendwissens in aporetische Verzweiflung treibt, weil er ihnen die unerfüllbare Aufgabe stellt, die binnendiffuse, ganzheitliche Bedeutsamkeit der Situation durch eine Konstellation begrifflicher Merkmale zu ersetzen (...). (S-AHG 56f)

Eine enorme Verschärfung der autistischen Verfehlung bringt das spät- und nachantike Christentum auf weströmischen Boden mit sich. Im Zeichen der Erbsünden- und Prädestinationslehre Augustins kann man den der Entscheidung über ihr ewiges Leben im Augenblick des Todes unruhig entgegensehenden Menschen nur noch zurufen: Rette sich, wer kann! (S-AHG 57)

Einen Auftrieb anderer Art schöpft die autistische Verfehlung des abendländischen Geistes aus der Imprägnierung des westkirchlichen Christentums mit dem Zwangsgedanken der Hölle durch die Einübung völliger Entsolidarisierung mit Verhältnis zu den Verdammten. (S-AHG 58)

In der Neuzeit erreicht die autistische Verfehlung des abendländischen Geistes einen Höhepunkt mit der Erneuerung des augustinischen (und von Thomas von Aquino unter der Hülle von Widersprüchen und gewundenen Formeln geteilten) Prädestinations- und Reprobationsdogmas. (S-AHG 60)

Noch wichtiger für die Säkularisierung der autistischen Verfehlung des abendländischen Geistes ist im katholischen Bereich der Jesuitenordnen. (S-AHG 60)

Hobbes als Theoretiker perfekter Radikalisierung der autistischen Verfehlung des abendländischen Geistes in säkularisierten, von den Spuren christlicher Herkunft gereinigter Gestalt. (S-AHG 61)

Die ironistische Verfehlung

Die ironistische Verfehlung des abendländischen Geistes besteht in der Freiheit des Menschen, der sich aus allen Involviertheiten in Sachverhalten zurückgezogen hat, nämlich der Freiheit, beliebige Sachverhalte als die seinen zu besetzen und damit beliebige Rollen zu spielen. (B-Fest80 25)

Die ironistische Verfehlung des Dandys ist eine Überabgrenzung und nicht mir der gesunden Abgrenzung zu verschiedenen Rollen (Rollendistanz) zu verwechseln.

Die ironistische Verfehlung schließlich, die vierte unter den vier großen Verfehlungen des abendländischen Geistes - und die einzige, die zugleich eine die Lebenserfahrung bereichernde Entdeckung war -, wird geheilt durch die Entdeckung der subjektiven Tatsachen als der vollständigen und ursprünglichen, von denen die objektiven Tatsachen abgeblasste, neutralisierte Reste sind, so dass das Schweben in romanischer Ironie über den objektiven als vermeintlich allen Tatsachen entfällt, aber durch die multivalente Mannigfaltigkeit personaler Subjektivität in entfalteter Gegenwart abgelöst wird. (S-AHG 380)

Die ironistische Verfehlung des abendländischen Geistes geht also aus der Entdeckung hervor, dass unter den objektiven oder neutralen Tatsachen, die jeder aussagen kann, wenn er genug weiß und gut genug sprechen kann, für niemand ein Anhaltspunkt zu finden ist, dass der Mensch, der er tatsächlich ist, er selbst ist. Diese Entdeckung wird nicht gleich so präzis durchdacht und formuliert, und es wird auch nicht klar gesehen, dass die objektiven Tatsachen nicht alle Tatsachen sind, sondern sogar nur abgeblasste Reste der integren subjektiven Tatsachen. (S-AHG 69)