Sachverhalt

Aus TopoWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Sachverhalte, die meist Programme und/oder Probleme enthalten, sind Gattungen oder Bestimmungen von etwas, das ihr Fall ist. Einzeln müssen sie sein, um eine Menge als den Umfang einer bestimmten, einzelnen Gattung bestimmen zu können.

Sachverhalte können sich durch Explikation einzeln aus Situationen abheben. Sie sind also Abhebungen vom Dasein, die sich ihrerseits von Situationen abheben können. (S-III4, 416f)

Objektive und subjektive Sachverhalte

Ein Sachverhalt ist 'objektiv', wenn jeder ihn aussagen kann, falls er nur genügend viel weiss und genügend gut (in irgend einer Sprache) sprechen kann. Ein Sachverhalt ist 'subjektiv', wenn ihn höchstens Einer, und zwar im eigenen Namen, aussagen kann, obwohl es den Anderen freisteht, den Sachverhalt, den sie nicht aussagen können, eindeutig (...) zu kennzeichnen, so dass sie über ihn, auch ohne ihn auszusagen, sprechen können. Die Existenz subjektiver Sachverhalte zeige ich am affektiven Betroffensein. (S-NGdE 59)

  • objektiver Sachverhalt: "Thomas Latka ist traurig."
  • subjektiver Sachverhalt: "Ich bin traurig."

These der ursprünglichen Subjektivität der Sachverhalte

Meine These der ursprünglichen Subjektivität der Sachverhalte hat große praktische Folgen. (S-H 41)

Sachverhalte als Abhebungen vom Hintergrund

Sachverhalte sind Abhebungen von der Wirklichkeit. (S-NGdE 65)

Sachverhalte sind Abhebungen vom Dasein. (S-III4, 397)

Hintergrund als Dasein, Wirklichkeit, Welt, Situation, worin man sich befindet (Topisches Verhältnis)

Einzelheit von Sachverhalten nur über Sprache identifizierbar

Sachverhalte können als einzelne nur sprachlich identifiziert werden; man kann nicht auf sie zeigen, also unsprachlich nicht einmal die Vorstufe des Identifizierens, zu der das Zeigen gelangt, erreichen. Dazu kommt die Abhängigkeit von besonderen Sprachen, weil die Möglichkeiten der Übersetzung in eine andere Sprache begrenzt sind. (S-LU 35)

Sachverhalte und Sprache

Sprecher Satzausspruch Sachverhalt.png

Siehe: Sprachabhängigkeit, Spruch, Explikation

Sachverhalte in den Fesseln der Sprache

Vereinzelte Sachverhalte sind von der Sprache gefärbt also davon abhängig, aber nicht wesentlich durch Sprache gemacht. D.h. die Färberei baut keine Autos, sondern färbt sie nur. Ich kann dasselbe Auto beliebig häufig neu lackieren, also denselben Sachverhalt in unterschiedlichen Sätzen formulieren. Es bleibt steht dasselbe Auto. Es gibt sogar für Farben Normen, also nicht alle Farben (wie Polizei oder Feuerwehr) dürfen für jedes Auto verwendet werden, oder wenn sie verwendet werden, dann erkennt jeder, dass das nicht erlaubt ist. Die Autos werden also nicht durch die Farbe oder die Färberei gefesselt, sondern bekommen dort nur eine Farbe, mit der sie sich zeigen können.

Die Abhängigkeit von der Sprache, in die die Sachverhalte durch ihre Vereinzelung geraten, geht aber nicht so weit, dass irgend eine Übereinstimmung der sprachlichen Form mit der Struktur der Sachverhalte entstünde. (S-LU 67)

Auch bei Wittgenstein (und im Husserlkreis) können die Sachverhalte nicht aus dem Schatten der Sprache treten, aufgrund der seltsam naiven von Platon ausgehenden elementaristischen Inventartheorie der sprachliche Rede. (Vgl.: S-NGdE 58)

Die Sachverhalte werden psychologistisch subjektiviert und spuken fortan durch die Logiken als vermeintliche Propositionen oder Urteile der Seele oder im Bewusstsein; sie werden - wie noch krass bei Wittgenstein und Husserl sowie dessen Schülern - für zusammengesetzt nach dem Muster eines Satzes und sogar eines ganz bestimmen, bei Philosophen besonders beliebten Satzbauplans (mit dem Hilfsverbum "sein") behalten;... (S-III5 193)

Diese Abhängigkeit der Sachverhalte als einzelner von der Sprache ist der Anlass für das Missverständnis, dass die Sachverhalte selbst und überhaupt aus der Sprache hervorgingen, z.B. als Konstrukte, oder auf Sprache oder Rede zurückgeführt werden können. (S-LU 67)

Sachverhalte als vorsprachliche Gegenstände

Gegen alle diese Einschränkungen will ich die Sachverhalte mündig sprechen; ich will zeigen, dass sie keiner Anlehnung an die Sprache bedürfen, sondern vorsprachliche Gegenstände eigenen Rechts sind, und auch nicht abstrakte Entitäten, die erst durch Operationen intellektueller Verarbeitung des Gegebenen zu Stande kommen oder zugänglich werden und insofern weniger elementar oder natürlich wären als Farben, Dinge oder gar Substanzen, sondern nächstliegende Bestandteile unmittelbarer Lebenserfahrung. (S-NgdE 58)

Sachverhalte sind hiernach Gegenstände eigener Art, nicht an Sprache und Sprachfähigkeit gebunden und nicht als begleitende Gebilde aus sprachlichen Strukturen konstruierbar. Ihre enge Verknüpfung mit der Sprache, wodurch sich Aussagen zur Darstellung und Identifizierung von Sachverhalten eigenen, wird durch diese Eigenständigkeit nicht angetastet; sie beruht auf der explikativen Leistung der Rede, Sachverhalte (sowie Programme und Probleme) aus Situationen hervorzuheben und einzeln festzuhalten. (S-NGdE 63)

Die These, dass Sachverhalte unabhängig von Sprache und satzförmiger Rede vorkommen, ... (S-LU 66)

Es wäre aber paradox, die sprachliche Rede zur Voraussetzung des Einzelseins von irgend etwas machen zu wollen. In der Tat sind Sachverhalte und Tatsachen vielmehr vorsprachlich. (S-WieP 20)

Während man Sachverhalte sonst immer als Abkömmlinge und Spiegelbilder sprachlicher Sätze auffasste, habe ich ihre Vorsprachlichkeit erwiesen und sie als das charakterisiert, wodurch etwas von der Wirklichkeit abgehoben wird, so dass die Fraglichkeit als prinzipielle Möglichkeit, etwas in Frage zu stellen - unabhängig davon, ob jemand da ist, der faktisch eine Frage stellen kann-, in die Welt kommt. (S-H 108)

..., weil Sachverhalte vorsprachlich sind, wenn sie sich auch als diese einzelnen nur mit Hilfe der Sprache durch Rede identifizieren lassen. Dass sie vorsprachlich sind, also unabhängig davon, ob geredet wird, vorkommen, lässt sich schlagend an Hand der Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Tatsachen beweisen. (S-GedW 36f)

Sachverhalte sind diejenigen Etwasse, die etwas in Frage stellen, so dass es offen ist für eine Entscheidung, die dem Sein, der Wirklichkeit, zufällt. (S-GedW 37)

Un-/ Vorsprachlichkeit subjektiver Sachverhalte

Der entscheidende Hebel zur Befreiung der Sachverhalte aus den Fesseln der Sprache ist meine Entdeckung der subjektiven Sachverhalte (einschließlich der Tatsachen). (S-NGdE 58f)

Mit der Aufdeckung der subjektiven Sachverhalte (und damit der subjektiven Tatsachen) am affektiven Betroffensein ist das Nötige für den Nachweis der vorsprachlichen Natur der Sachverhalte schon getan. (S-NGdE 60)

Lebewesen ohne Sprachfähigkeit

Es ist offensichtlich, dass viele Bewussthaber affektiven Betroffenseins fähig sind, ohne eine Sprache und satzförmige Rede mächtig zu sein, z.B. Tiere und Säuglinge. (S-LU 67)

Affektiv betroffen sind auch Tiere, Idioten und Babies, die überhaupt nicht sprechen können, und doch gehört zu ihrem affektive Betroffensein das Innesein oder Bewussthaben, dass es sich um sie selber handelt, in der WEise, dass etwas sie angeht und nicht bloß neutral an ihnen vorüberzieht. Dabei handelt es sich um für sie subjektive Tatsachen, die ihnen freilich kaum als einzelne mit numerischer Einheit vorschweben, sondern gelöst wie Salz im Wasser in absolut chaotischer Mannigfaltigkeit einer Situation. (S-NGdE 60)

Schon die Tiere werden unruhig, wenn sie spüren, dass etwas in der Luft, d.h. in der Situation, liegt, das nicht geheuer ist, und können es doch nicht in eine Frage fassen, weil sie keine Sachverhalte als einzelne aus der Situation, in der sie gefangen sind, herauszuheben vermögen; den Menschen widerfährt oft das Entsprechende, und obwohl sie in der Explikation der Bedeutsamkeit weiter kommen, haben sie oft Schwierigkeiten damit, die richtigen Fragen zu stellen, deren Beantwortung die Beunruhigung durch das offene Problem abschließen kann. (S-GedW 37)

Ausfall des Besprechenkönnens bei affektiven Betroffensein

Die Unsprachlichkeit der subjektiven Sachverhalte (sowie Programme und Probleme) des affektiven Betroffenseins lässt sich aber nicht nur an solchen noch nicht zur Sprachfähigkeit gediehenen Lebewesen erhärten. Wer in Trauer wenigstens noch sagen kann "Ich bin traurig", ist schon nicht mehr ganz so traurig wie ein in tiefe Trauer versunkener Mensch, denn diese Versunkenheit nicht nur die Kenntnisnahme von sich als abgehobenem Subjekt, das sich mit "ich" auf sich beziehen kann, nimmt, sondern auch die zum Besprechen nötige Objektivierung oder Thematisierung der Trauer, und doch ist das Ergriffensein von der Trauer und das (kein Subjekt als numerische Einheit erfordernde) Innesein, dass sie ihn angeht, bei dem Betroffenen viel eindringlicher ausgeprägt, als wenn er mehr Distanz zu seiner Trauer hat; ... In diesen Fällen erweist sich die Sprachfreiheit (Unabhängigkeit von sprachlicher Rede) an für den Betroffenen subjektiven Tatsachen durch dessen Unfähigkeit zum Besprechen, auch wenn er sonst ein normal sprachfähiger Erwachsener ist. (S-NGdE 61)

-> Sprachzentrum wird runtergefahren: PEP

Keine Isomorphie zwischen Sachverhalt und Satzausspruch

Sachverhalte haben mit sie darstellenden Satzaussprüchen keinerlei strukturelle Ähnlichkeit. (S-NGdE 243)

Siehe: Isomorphie, Ähnlichkeit, Isomorphiemodell der Wahrheit

Sachverhalte und Sachen

Ontologischer Vorrang von Sachverhalten

[I]ch halte fest, dass Sachverhalte, speziell Tatsachen, einen ontologischen Vorrang vor anderen Sachen haben, der darin besteht, dass sie in jeder Sprache, die sich mit ihren Aussagen an das Sein oder die Wirklichkeit hält, angegeben werden müssen, nicht nur in den speziellen Sprachen, die Beschreibungen nennbarer Sachen gestatten. (S-WieP 20)

Sachverhalte sind nicht aus Sachen zusammengesetzt

Axiom von Schnelle: Dass die Bedeutung von Sätzen sich irgendwie aus der Bedeutung der Wörter zusammensetzt, die der Satz enthält ..., diese syntagmatische Bestimmung erscheint als nahezu trivial. (Helmut Schnelle, zit. n. S-III4, 384f)

Wittgenstein erhebt die Zusammensetzung von Sachverhalten aus Sachen zu einem grundlegenden Dogma seiner frühen, im Tractatus logico-philosophicus niedergelegten Lehre. (S-III4, 385)

Argumente gegen die These, dass Sachverhalte aus einzelnen Sachen zusammengesetzt sind:

  • Möglichkeit, dieselben Sachverhalte durch Sätze ganz verschiedener Struktur zu beschreiben. Z.B. gibt es auch Sprachen mit ganz anderer Struktur, z.B. das Japanische.
  • Es kann keinen Gegenstand geben, der aus Teilen, die es nicht gibt, besteht. Sehr wohl gibt es aber Sachverhalte, sogar Tatsachen, für die angemessene Beschreibungen existieren, in denen Gegenstände, die es nicht gibt, z.B. durch Satzsubjekte genannt werden.
  • Wenn alle Sachverhalte durch Zusammensetzung von Sachen gebildet wären, müsste jeder Überschuss eines Sachverhaltes über einen anderen dadurch gebildet werden können, dass zu diesem eine ihm fehlende, in jedem vorhandene Sache hinzugefügt würde. Der Überschuss der subjektiven Tatsache über die entsprechende objektive Tatsache kann jedoch nicht durch einer in dieser noch fehlenden Sache aufgeholt werden: keine additive "Ichtönung" erzeugt aus einer objektiven einen subjektive Tatsache.

(S-III4, 386ff)