Raum: Unterschied zwischen den Versionen
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Aber wir erfahren dabei keine zwei verschiedene Hände - die Hand als physischen, sicht- und tastbaren Körper und die Hand als Ort der Schmerzempfindung. Vielmehr ist sie von vorneherein apperzeptiv charakterisiert als Hand mit ihrem Empfindungsfeld, d.h. als eine physisch-aesthesiologische Einheit. (Fuchs 101) | Aber wir erfahren dabei keine zwei verschiedene Hände - die Hand als physischen, sicht- und tastbaren Körper und die Hand als Ort der Schmerzempfindung. Vielmehr ist sie von vorneherein apperzeptiv charakterisiert als Hand mit ihrem Empfindungsfeld, d.h. als eine physisch-aesthesiologische Einheit. (Fuchs 101) | ||
+ | == Mythische und wissenschaftlicher Raum == | ||
+ | === Mythische Raum == | ||
+ | 1. Der mythische Raum ist ''kein'' allgemeines Medium, ''in'' dem sich Gegenstände befinden, sondern Raum und Rauminhalt bilden eine unauflösliche Einheit. | ||
+ | 2. Er stellt ''keine'' kontinuierliche Punktmannigfaltigkeit dar, sondern ist aus lauter ''diskreten'' Elementen, den sog. Témena, zusammengesetzt, die sich aneinanderreihen und Räumliches konstituieren. | ||
+ | 3. Der mythische Raum ist ''nicht homogen'', das sich in ihm Orte dadurch unterscheiden, dass sie nicht nur eine relative, sondern auch eine absolute Lage haben (Oben, Unten usf.). | ||
+ | 4. Er ist ''nicht isotrop'', da es keineswegs gleichgültig ist, in welcher Richtung sich eine Ereignisfolge ausbreitet (rechts herum und links herum). | ||
+ | 5. Mythisch wird ein heiliger von einem profanen Raum unterschieden. Der heilige Raum wird in den profanen eingebettet. | ||
+ | 6. Nicht alle Orte des heiligen Raumes lassen sich in den profanen einbetten, sie bilden, in der Sprache des Mathematikers ausgedrückt, Singularitäten (Olymp, Tartaros usf.). Auch hat die Einbettung zur Folge, dass identisch heilige Orte an verschiedenen Stellen des profanen Raumes mehrfach wiederkehren können (Omphalos). | ||
+ | 7. Der profane Raum ist ''topologisch'' ausschließlich durch die unter Punkt sechs angegebenen Phänomene bestimmt. Er gibt sich also nur dadurch zu erkennen, dass die heiligen Témena mit ihrer Diskontinuität, Inhomogenität und Anisotropie für den Sterblichen teils unerreichbar sind, teils in Gewande des Verschiedenen auftreten können, obgleich sie ein Gleiches sind. Der Mensch vermag zwar den heiligen Raum anzuschauen, ja, in ihm zu leben, aber dessen profane "Außenbetrachtung" führt zu topologischen Zerreißungen und Verzerrungen, welche dessen "Innenbetrachtung" nicht kennt. | ||
+ | 8. Mythisch gibt es ''keinen Gesamtraum'', in dem alles seine Stelle hat, in den alles eingeordnet werden kann, sondern es gibt nur Aneinanderreihungen einzelner Raumelemente, und diese einmal als heilige (Témena) und zum anderen als profane. | ||
+ | 9. Während der profane Raum ''metrisch'' dadurch definiert ist, dass ''jeder'' seiner Gegenstände eine metrisch bestimmte Ausdehnung nach drei Dimensionen hat, gilt dies für den heiligen Raum nicht. | ||
− | + | == Zitate == | |
* “... dass die Topologie einen relationalen Raumbegriff voraussetzt” (Pichler 24) | * “... dass die Topologie einen relationalen Raumbegriff voraussetzt” (Pichler 24) | ||
* “Die Vorstellung vom Raum als einem Gefüge, bei dem die Relationen letztlich wichtiger sind als die Relata, wird im Fall der Topologie in besonderer Weise anschaulich, befasst sie sich doch mit Strukturen wie Graphen, Oberflächen und Knoten, bei deren Studium es grundsätzlich mehr auf das Wie als auf das Was des jeweiligen Zusammenhangs ankommt. Jedenfalls hat gerade die Topologie regelmäßig solcher Denker angezogen, die - nicht nur im Hinblick auf den Raum - der Relation den Vorzug gegenüber absoluten Größen oder positiven Bestimmungen geben. Daher die Topologie-Rezeption im (Umfeld des) Strukturalismus. Jean Piaget etwa gewann durch seine Auseinandersetzung mit der mathematischen Topologie eine Serie von Relationsbegriffen, die ihm auch in epistemologischer Hinsicht fundamental zu sein schienen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die ontogenetische Entwicklung von Raumvorstellungen: Ordnung, Nachbarschaft, Umhüllung und Kontinuität.” (Pichler 24-5) | * “Die Vorstellung vom Raum als einem Gefüge, bei dem die Relationen letztlich wichtiger sind als die Relata, wird im Fall der Topologie in besonderer Weise anschaulich, befasst sie sich doch mit Strukturen wie Graphen, Oberflächen und Knoten, bei deren Studium es grundsätzlich mehr auf das Wie als auf das Was des jeweiligen Zusammenhangs ankommt. Jedenfalls hat gerade die Topologie regelmäßig solcher Denker angezogen, die - nicht nur im Hinblick auf den Raum - der Relation den Vorzug gegenüber absoluten Größen oder positiven Bestimmungen geben. Daher die Topologie-Rezeption im (Umfeld des) Strukturalismus. Jean Piaget etwa gewann durch seine Auseinandersetzung mit der mathematischen Topologie eine Serie von Relationsbegriffen, die ihm auch in epistemologischer Hinsicht fundamental zu sein schienen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die ontogenetische Entwicklung von Raumvorstellungen: Ordnung, Nachbarschaft, Umhüllung und Kontinuität.” (Pichler 24-5) | ||
* “Relations, it seems, are what we think with, rather than what we think of.” (aus: Pichler 26) | * “Relations, it seems, are what we think with, rather than what we think of.” (aus: Pichler 26) |
Version vom 17. März 2011, 14:24 Uhr
Räumlichkeit
Grundlegende Raumtypen
Dimensionaler Raum | Topischer Raum |
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flächenhaltig | nicht flächenhaltig |
teilbare Ausdehnung | unteilbare Ausdehnung |
relative Örtlichkeit | absolute Örtlichkeit |
- Dimensionaler Raum (auch Ortsraum)
- flächenhaltig
- teilbare Ausdehnung
- relative Örtlichkeit
- Topischer Raum (auch leiblicher Raum, Leibraum)
- nicht flächenhaltig
- unteilbare Ausdehnung
- absolute Örtlichkeit
Dimensionaler Raum
Leiblicher und körperlicher Raum
Es gibt verschiedene Raumverständnisse, die sich sehr unterscheiden können.
- Subjektiv-leiblicher Raum
- objektiv-körperlicher Raum
Beide Räume kommen (normalerweise) syntopisch zur Deckung. Sind zwar nicht identisch, aber doch grundsätzlich koextensiv. Wo die Nadel die Hand sticht, dort tut es auch weh. Aber wir erfahren dabei keine zwei verschiedene Hände - die Hand als physischen, sicht- und tastbaren Körper und die Hand als Ort der Schmerzempfindung. Vielmehr ist sie von vorneherein apperzeptiv charakterisiert als Hand mit ihrem Empfindungsfeld, d.h. als eine physisch-aesthesiologische Einheit. (Fuchs 101)
Mythische und wissenschaftlicher Raum
= Mythische Raum
1. Der mythische Raum ist kein allgemeines Medium, in dem sich Gegenstände befinden, sondern Raum und Rauminhalt bilden eine unauflösliche Einheit. 2. Er stellt keine kontinuierliche Punktmannigfaltigkeit dar, sondern ist aus lauter diskreten Elementen, den sog. Témena, zusammengesetzt, die sich aneinanderreihen und Räumliches konstituieren. 3. Der mythische Raum ist nicht homogen, das sich in ihm Orte dadurch unterscheiden, dass sie nicht nur eine relative, sondern auch eine absolute Lage haben (Oben, Unten usf.). 4. Er ist nicht isotrop, da es keineswegs gleichgültig ist, in welcher Richtung sich eine Ereignisfolge ausbreitet (rechts herum und links herum). 5. Mythisch wird ein heiliger von einem profanen Raum unterschieden. Der heilige Raum wird in den profanen eingebettet. 6. Nicht alle Orte des heiligen Raumes lassen sich in den profanen einbetten, sie bilden, in der Sprache des Mathematikers ausgedrückt, Singularitäten (Olymp, Tartaros usf.). Auch hat die Einbettung zur Folge, dass identisch heilige Orte an verschiedenen Stellen des profanen Raumes mehrfach wiederkehren können (Omphalos). 7. Der profane Raum ist topologisch ausschließlich durch die unter Punkt sechs angegebenen Phänomene bestimmt. Er gibt sich also nur dadurch zu erkennen, dass die heiligen Témena mit ihrer Diskontinuität, Inhomogenität und Anisotropie für den Sterblichen teils unerreichbar sind, teils in Gewande des Verschiedenen auftreten können, obgleich sie ein Gleiches sind. Der Mensch vermag zwar den heiligen Raum anzuschauen, ja, in ihm zu leben, aber dessen profane "Außenbetrachtung" führt zu topologischen Zerreißungen und Verzerrungen, welche dessen "Innenbetrachtung" nicht kennt. 8. Mythisch gibt es keinen Gesamtraum, in dem alles seine Stelle hat, in den alles eingeordnet werden kann, sondern es gibt nur Aneinanderreihungen einzelner Raumelemente, und diese einmal als heilige (Témena) und zum anderen als profane. 9. Während der profane Raum metrisch dadurch definiert ist, dass jeder seiner Gegenstände eine metrisch bestimmte Ausdehnung nach drei Dimensionen hat, gilt dies für den heiligen Raum nicht.
Zitate
- “... dass die Topologie einen relationalen Raumbegriff voraussetzt” (Pichler 24)
- “Die Vorstellung vom Raum als einem Gefüge, bei dem die Relationen letztlich wichtiger sind als die Relata, wird im Fall der Topologie in besonderer Weise anschaulich, befasst sie sich doch mit Strukturen wie Graphen, Oberflächen und Knoten, bei deren Studium es grundsätzlich mehr auf das Wie als auf das Was des jeweiligen Zusammenhangs ankommt. Jedenfalls hat gerade die Topologie regelmäßig solcher Denker angezogen, die - nicht nur im Hinblick auf den Raum - der Relation den Vorzug gegenüber absoluten Größen oder positiven Bestimmungen geben. Daher die Topologie-Rezeption im (Umfeld des) Strukturalismus. Jean Piaget etwa gewann durch seine Auseinandersetzung mit der mathematischen Topologie eine Serie von Relationsbegriffen, die ihm auch in epistemologischer Hinsicht fundamental zu sein schienen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die ontogenetische Entwicklung von Raumvorstellungen: Ordnung, Nachbarschaft, Umhüllung und Kontinuität.” (Pichler 24-5)
- “Relations, it seems, are what we think with, rather than what we think of.” (aus: Pichler 26)