Leib

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Deutsch: Leib, topischer Körper | Englisch: living body, topic body | Japanisch: 身 (mi)

Der Begriff ‚Leib’ leitet sich von ‚lîp’ ab und betont in seiner ursprünglichen Bedeutung von ‚Leben’ den kreativ-schöpferischen Aspekt der menschlichen Existenz.

Einführung

Der Ausgangspunkt aller unserer Erkenntnis ist die leibliche Existenz.

Über den Leib spüren wir leibliche Regungen und Gefühle. Leiblich sein, heißt erschrecken können. (S-LuG, 219; nach S-WNP 24)

Leiblich ist, was jemand in der Gegend (nicht immer in den Grenzen) seines Körpers von sich selbst, als zu sich selbst gehörig, spüren kann, ohne sich der fünf Sinne, namentlich des Sehens und Tastens, und des aus deren Erfahrungen gewonnenen perzeptiven Körperschemas (der habituellen Vorstellung vom eigenen Körper) zu bedienen. (S-KE 35)

Leib ist die ausgedehnte, raumerfüllende Subjektivität. (Vgl: F-LRP 99)

Der Leib zeichnet sich durch vorallem seine leibliche Dynamik und Räumlichkeit aus.

Die Entdeckung des Geistes ist die Verdeckung des Leibes. (S-II1 441)

Körper und Leib

Unterschiede

  • Der Leib ist flächenlos, prädimensionales Volumen mit einem Gewoge verschwommener Inseln in einem absoluten Ganzort mit unteilbarer Ausdehnung und absoluter Örtlichkeit des Ganzen wie der Inseln;
  • Der sichtbare und tastbare Körper ist flächig begrenzt, dreidimensional stetig und teilbar ausgedehnt und bloß relativ-örtlich (im Sinne relativer Orte, die sich gegenseitig durch Lagen und Abstände bestimmen). (S-WNP 411f)
Leib Körper
flächenlos flächig begrenzt
prädimensionales Volumen

mit einem Gewoge verschwommener Inseln

dreidimensional stetig
unteilbar ausgedehnt teilbar ausgedehnt
absolute Örtlichkeit des Ganzen wie der Inseln relativ-örtlich (durch Lagen und Abstände bestimmt)

Der spürbare Leib bildet ein eigenständiges Gegenstandsgebiet, und unterscheidet sich vom sicht- und tastbaren Körper durch (S-WNP 175f):

  1. Flächenlosigkeit, unscharfe Umrisse
  2. unteilbare Ausdehnung, Voluminösität: Leibliche Empfindungen wie Schmerz, Hunger, Völlegefühl oder Müdigkeit sind spürbar ausgedehnt, erfüllen einen Raum oder strahlen aus.
  3. absolute Örtlichkeit
    1. Absolute Örtlichkeit der Leibesinseln: Der Kopfschmerz setzt sich nicht zusammen aus einem nichtlokalisierten Schmerzempfindung und einer Vorstellung von deren Ursprung. Vielmehr ist dem Schmerz seine Örtlichkeit inhärent, als unabweisbar gespürtes "Hier".
    2. Absolute Örtlichkeit des ganzen Leibes: Der Leib als ganzer muss absolute Örtlichkeit besitzen, denn wo ich z.B. Müdigkeit empfinde, ist nicht primär durch Bezug zu einem anderen, äußeren Orientierungspunkt bestimmt.

Definition nach Fuchs

Neben der leiblichen Dynamik kommt dem Leib eine spezifische Räumlichkeit zu. Der Leibraum zeichnet sich durch Voluminosität, absolute Örtlichkeit und Meinhaftigkeit aus:

  1. Voluminosität: s.o.
  2. Absolute Örtlichkeit: s.o.
  3. Meinhaftigkeit: Leibliche Empfindungen werden unmittelbar als "zu mir gehörig" oder "meinhaft" erlebt. Schmerz, Hunger oder Durst usw. nehme ich nicht distanziert wahr wie die Warnblinkanlage oder Tankanzeige meines Wagens. (Vgl: F-LRP 98) Diese Meinhaftigkeit darf aber nicht zu dem possessorischen Missverständnis des Introjektionismus führen, dass man als Fühlender zum Besitzer der Gefühle wird.

Wirkungen des Leibes auf den Körper

  • autogenes Training
  • suggestive und hypnotische Einwirkungen
  • Stigmatisierungen

Selbst- und Fremderfahrung

Leib Körper
Natur, die wir sind. Natur, die wir haben
Selbsterfahrung Fremderfahrung


  • Leib: Natur, die wir sind. Die eigene Natur, insofern sie in Selbsterfahrung gegeben ist.
  • Körper: Natur, die wir haben. Die eigene Natur, insofern sie in Fremderfahrung gegeben ist.

Selbsterfahrung muss jedoch erst wieder in besonderen Übungen aufgesucht werden, um dann ein Bewusstsein seiner selbst aufbauen zu können, das auf „betroffener Selbstgegebenheit“ (Böhme) basiere.

Lose Kopplung: Ausfahrt des Leibes

Ich vermag keinen einsichtigen Zusammenhang zu entdecken, der eine unzertrennliche Zusammengehörigkeit von Leib und Körper verbürgen könnte. Die vielfältigen Zeugnisse für Lykanthropie, Heautoskopie und andere Formen der "Ausfahrt" des Leibes (nicht der Seele) aus dem Körper ... haben nichts prinzipiell Unglaubliches an sich. (S-WNP 175f)

Die "Verleiblichung" sinnfälliger Körper über die Brücke der leiblichen Kommunikation geht nach meiner Überzeugung andererseits nicht so weit, dass ein unzertrennlicher Zusammenhang von Leib und Körper (z.B. des leiblichen Blickes und der körperlichen Augen) zum Vorschein käme und phänomenologisch festgestellt werden könnte. Vielmehr ist das leibliche Spürbare durch Merkmale bestimmt, die denen des körperlich Sichtbaren und Tastbaren entgegengesetzt sind. (S-WNP 411f)

Leib als Körper

Die Erscheinungsweise am entgegengesetzten Ende des Chiasmus zeigt den Leib als Körper. Der Körper erscheint als Teil der beobachteten Welt. (FV-OW 202)

Sprache, Experiment und Beispiele

Der Leib ist etwas anderes als der Körper. Und ganz im Hintergrund wissen wir das eigentlich:

  • Zum Beispiel sagen wir, da habe einer "aus Leibeskräften" geschriehen, die Formulierung "aus Körperkräften" ergäbe keinen Sinn.
  • Auch das Verbot, nicht mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, beruht auf dem Wissen vom Leib und davon, dass diese "aufspießende" Geste in ihrer Wirkung weit über den Körper hinausreicht.
  • Jedes Kind kennt die Macht des Blickes, wenn es von Wut oder Ekel oder Angst im Blick der Mutter getroffen wird.

Hand-Experiment:

  • Heben Sie die Hand, die Finger locker geöffnet, und konzentrieren Sie sich darauf, diese Hand zu spüren. Was nehmen Sie in der "Gegend" der Hand wahr?
  • Dann pusten Sie kurz gegen die Hand, und nehmen Sie wahr, was sich verändert.
  • Erst durch das Pusten nimmt man eine Fläche wahr. Der spürbare Leib kennt noch keine Flächen, sondern nur diffus ausgedehnte Leibesinseln.

Beispiele:

  • Klavierlernen: Vom Suchen der Abständen zwischen den Tasten bis hin zum Spielen.
  • Verunsicherter Tennisspieler, der sich auf seine Abstandsverhältnisse besinnt, und die Aufschläge vergibt.

Leibraum

Struktur des Leibraums bestehend aus:

Der Leibraum beinhaltet auch den Gefühlsraum.

Damit gibt es eine Polarität der Räumlichkeit zwischen:

(Vgl: S-WNP 15)

Leibdefinitionen

Leib als Einheit

Der Leib verbürgt auf diese Weise die Einheit der Welt. (FV-OW 207)

Leib nimmt sich selbst wahr

Es gibt nach dem Chiasmus keine klare Trennung zwischen einem "Subjekt" und einem "Objekt", der Leib wird nicht von einer anderen Instanz wahrgenommen, er nimmt sich selbst wahr, er ist ein Verhältnis (von Bewusstsein* und Körper*), das sich zu sich selbst verhält (in der Verschränkung des Chiasmus) (FV-OW 199)

Leib als absoluter Ort

Der Leib ist der Ort, an dem wir in die Wirklichkeit "hineingegossen" sind und zugleich ist der Leib der Ort, von dem aus wir der Wirklichkeit gegenüber stehen. Es gibt also eine doppelte Bestimmung von Gegenübersein und Insein (FV-OW 243)

Kritik: Nicht Leib, sondern der Körper als Ort, von dem wir aus der Wirklichkeit gegenüber stehen?

  • In-Sein: Leib
  • Gegenübersein: Körper

Leib als transparentes Medium und "blinder Fleck"

Was immer wir auch explizit planen oder bewusst tun - wie leben aus einem verborgenen, leiblichen Grund heraus, den wir nie ganz von uns selbst zu bringen vermögen. Und dieser Grund geht ein in alles Wahrnehmen, Denken, Tun, insofern es eines Mediums bedarf, durch das es sich vollzieht, und das selbst transparent bleibt. Der fungierende Leib ist dieses Medium: Er ist als sehender unsichtbar, als tastender untastbar, ein latenter "blinder Fleck", der das Fungieren im Dunkel lässt. (F-LuL 288)

Leib in der Erscheinungsweise als Gedanke und Körper

Leibphilosophie

Die Leibphilosophie ... ist mittlerweile ein wohletabliertes philosophisches Feld. Mit der Thematisierung des menschlichen Leibes steht man heute in keiner Weise am Anfang. (B-Ethik 119)

Übersicht:

Leiberleben Körpererleben
Straus pathisch-präsent gnostisch-distantisch
Buytendijk Ausdruck Handlung
Schmitz Weite- und Richtungsraum Ortsraum

Kritik der Leibphänomenologie

Kein ahistorisches leibliches Spüren

Der mögliche Vorwurf an die Leibphänomenologie, es gebe kein ahistorisches leibliches Spüren, beruht, so scheint mir, letztlich auf einem Missverständnis. ... Der mögliche Vorwurf, den die Geschichte des Körpers der Leibphänomenologie machen kann, verwechselt die Ungeschichtlichkeit des eigenleiblichen Spürens mit der von den neuzeitlichen Wissenschaften behaupteten Ungeschichtlichkeit des durch diese scheinbar letztgültig erforschten menschlichen Organismus'. (PT-SNs 30)

Leibliche Begriffe