Hermann Schmitz

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Hermann Schmitz ist der Begründer der Neuen Phänomenologie, die der Ausgangspunkt für die in diesem Wiki dargestellte Lehre der philosophischen Topologie ist.

Lebensaufgabe

Als ich die Weltspaltung durchschaut hatte, wenn auch nicht sogleich ihre geschichtlichen Konsequenzen, erfasst mich die philosophische Aufgabe meines Lebens: die unwillkürliche Lebenserfahrung - d.h. alles, was Menschen merklich wiederfährt, ohne dass sie es sich absichtlich zurechtgelegt haben - zusammenhängendem Begreifen wieder dadurch zugänglich zu machen, dass ich die wichtigsten Massen dieser Lebenserfahrung aus der Introjektion in die privaten Innenwelte zurückholte, aus der Vergessenheit, der sich durch die absichtliche oder vielmehr zum größten Teil unabsichtliche Verpackung in die Seele und Versteckung in deren Ecken und Winkel verfallen waren. Ich prägte dafür die Metapher: die Winde aus dem Schlauch des Äolus entlassen. Was mir an erster Stelle auffiel, war der spürbare Leib, der bei der Zerlegung des Menschen in Seele und Körper wie in einer Geltscherspalte verschwunden war. (S-DWÜ 6f)

Details siehe unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Schmitz_(Philosoph)

Zitate

Denn ich bin Phänomenologe, und als Phänomenologe gehe ich immer aus von relativ trivialer Lebenserfahrung .. das heißt von der durchschnittlich jedem frisch oder in Erinnerung zugänglichen Erfahrung. (S 66 in: http://www.wzu.uni-augsburg.de/download/publikationen/JS_Raum.pdf)

Kritik und Gegenkritik

Im folgenden sollen Kritiken der Neuen Phänomenologie von Hermann Schmitz zur Sprache kommen und deren kritische Reflexion.

Überhebliche Formulierungen

In meiner Analyse des leiblichen Befindens setze ich mir - soviel ich sehe, zum ersten Mal in der Weltliteratur - das Ziel, ein abgerundetes Begriffssystem allein auf das Zeugnis des eigenleiblichen Spürens zu gründen, ... (S-Sub 4)

Schwer anschlussfähiges Vokabular

Die Leibphänomenologie von Schmitz bedient sich zudem leider eines Vokabulars, das die Rezeption in den bzw. Anschlussfähigkeit an die Sozial- und Kulturwissenschaften erschwert. Um diese Anknüpfung zu leisten müsste meiner Meinung nach

  1. eine Methodologie zur vergleichenden Erfassung und Beschreibung von Leiberfahrung mittels teilnehmender Beobachtung und teilstandardisierter Interviews, und
  2. eine Terminologie zu ihrer Dokumentation entwickelt werden.
Damit würde die an die Erste-Person-Perspektive gebundene Form der phänomenologischen Beschreibung freilich zu Gunsten eines Versuchs der wissenschaftlichen Objektivierung des Phänomenbereichs leiblicher Erfahrung und Intersubjektivität erweitert. (UE in SVSK-KS 42f)

Keine statische sondern genetische Phänomenologie

Hermann Schmitz konzentriert sich darauf, die phänomenologische Frage statisch zu behandeln, und wehrt sich dagegen auch die genetische Frage phänomenologisch zu beantworten. Siehe die Genetische Phänomenologie von Gernot Böhme.

Überzogene Einmaligkeit der je-eigenen Erfahrbarkeit

Schmitz' Subjektivitätstheorie ist insgesamt von der affektiven Tonalität der je-eigenen Subjektivität überzeugt und sucht infolgedessen eine nicht nur begriffliche-diskursive Sprache für die Einmaligkeit der je-eigenen Erfahrbarkeit von bewusster Selbstbezüglichkeit. Genau an dieser systematischen Stelle ist die Originalität von Sloterdijks sphärischem Denken bezüglich der Subjektivitäts und Intersubjektivitätstheorie insgesamt zu verorten: Wie Schmitz stellt auch Sloterdijk den Leib in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Sloterdijk geht es aber nicht um Zirkularitätsbeweise am Subjektivitätsphänomen, sondern um die inhaltliche Frage leibhaftiger Subjektivität. Der Leib erscheint bei ihm mitnichten als die verkörperte Verortung eines empirischen Inividuums, sondern er erweist sich vielmehr als der Resonanzraum eines sich vielfach konkretisierenden Geistes; Sloterdijks Leibauffassung ist sphärisch geartet. (Oliveira in VDU 82f)

Apersonale Gefühlstheorie

Schmitz wird vorgeworfen eine apersonale Gefühlstheorie zu vertreten, d.h. die Subjektivität bzw. Inter-Subjektivität von Gefühlen nicht hinreichend zu würdigen. Kritik entzündet sich insbesondere an seiner Redeweise, dass "Gefühle genauso objektiv sind, wie Landstraßen". Mit dieser zumindest verbalen Objektivierung von Gefühlen wird Schmitz der Subjektabhängigkeit von Gefühlen nicht gerecht. Kritiker: Fuchs, Demmerling, Brenner.

Fehlende Indizien für den objektiven Charakter von Gefühlen

Die Belege für die These, dass es sich bei Gefühlen um Atmosphären und objektive Phänomene handelt, sind ... allenfalls teilweise überzeugend. Sie liefern zwar zahlreiche Anhaltspunkte für eine Relativierung psychologistischer Theorien des Gefühls, ob sie darum schon die Auffassung rechtfertigen, dass Gefühle als Atmosphären auf objektive Weise im Raum existieren, bleibt fraglich. Keines der von Schmitz' angeführten Indizien stützt die Auffassung, dass es sich bei Gefühlen um Atmosphären mit objektivem Charakter handelt auf zwingende Weise. (Demmerling in AE-GaA 50f)

Nicht nur ausschließlich affektives Betroffensein

So zeigt sich besonders am Beispiel der Liebe die Schwäche der Schmitzschen Theorie, die für seine Gefühlstheorie insgesamt geltend gemacht werden muss und die möglicherweise Folge seiner zu starken Fixierung auf sein Anliegen der Widerlegung der Innenwelthypothese ist. Gerade beim klassischen Gefühl der Liebe ist die Behauptung des ausschließlichen affektiven Betroffenseins verkürzt und mithin unvollständig, wenn man dieses Betroffensein nicht weiter differenziert. Und dann verbietet sich auch eine Ausweitung der Atmosphärentheorie auf die klassischen Gefühle. Daran können auch die mit hoher Evidenz verbundenen Beispiele meterologischer Atmosphären, die emotional erlebet werden, welche Anna Blume zur Verteidigung einer Universalisierung der Atmosphärentheorie der Gefühle anführt, nichts ändern. Die Lehre vom affektiven Betroffensein erweist sich in Bezug auf die klassischen Gefühle als problematisch durch das unterstellte Moment der Passivierung. So wird der vom Gefühl Ergriffene vorgestellt als jemand, der, wie ein Kieselstein im Bach vom Wasser, so von einem Gefühl übergossen wird. (AB-BuB 143)

Neben dem Spüren gehört zu Leiblichkeit gleichursprünglich das Sicht-Äußern als Lebensvollzug. (GB-EuEm 28)

Demnach kann das Schmitzsche Betroffenseins-Faktum in seiner Absolutheit nicht aufrechterhalten werden, wofür die von Schmitz in die Debatte eingeführte Leiblichkeit selbst den stärksten Hinweis liefert, denn Leiblichkeit reagiert, wie sowohl Schmitz als auch Waldenfels in seltener Übereinstimmung feststellen, antwortend auf eine Aussage, also auch auf eine solche, wie sie beispielsweise in Form eines Gefühls dasteht. (AB-BuB 144)

Unhaltbarkeit der ausnahmslosen Kritik an der Privatheitsvorstellung der Gefühle

... und zeigt zugleich auf der anderen Seite die Unhaltbarkeit von Schmitz' ausnahmsloser Kritik an der Privatheitsvorstellung der Gefühle auf. (AB-BuB 155)

Kritik der Leibphänomenologie

Naturferne der Leibphänomenologie

Im leiblichen Ich ist mehr das Selbst-sein (der Natur) als das Natur-sein ausgesagt. (Vgl: Thomas-SNs 140)

[Festzustellen ist] ..., dass die bisherige Leibphilosophie den Leib u.a. deshalb nicht als Natur verstanden hat, weil bei Lebensvollzügen wie z.B. dem Atmen die Luft nicht mit thematisch geworden ist. Erst die Thematisierung des Mediums zeigt, dass "der Mensch als Atmender quasi ein Luftwesen ist, ein Wesen, das im Durchzug des Luftmediums existiert." (Böhme: Leib 84) (Thomas-SNs 169, Fußnote 16)

[D]as leibliche Ich bezeichnet nur für den Fall ein Natursein, indem die Phänomene des Leiblichen eben fraglos als Phänomene betrachtet werden, die die menschliche Natur betreffen. Genau dies, nämlich das Leibliche mit dem Natürlichen zu identifizieren, kann man wohl mit guten Gründen vertreten. Schmitz selbst aber hat dies nicht getan. Das eigenleibliche Spüren, das Leibsein, ist für Schmitz keine Erfahrung von Natur und kein Natursein. (Thomas-Sns 140f)

Die Naturferne der Schmitzschen Philosophie scheint mir typisch für alle Phänomenologie. Diese wird von einem antiwissenschaftlichen und antimetaphysischen Impetus getragen, der es schwierig macht, von so etwas wie 'Natur' überhaupt noch zu sprechen. Dem phänomenologischen Beschreiben, Aufweisen und Rekonstruieren erscheint der Begriff Natur sehr schnell als eine eben wissenschaftliche oder metaphysische Konstruktion, deren reduktionistischer Charakter aufgewiesen werden muss. (Thomas-Sns 140)

Beschreibt Phänomenologie dann solches, das klassischerweise Gegenstand von Metaphysik oder Wissenschaft war und ist, wie z.B. den Körper qua Natur (metaphysisch: Substanz, wissenschaftlich: Organismus), so nennt sie es nicht mehr Natur, also nicht mehr Körper, sondern Leib und weist daran Phänomene auf, die klassischerweise übersprungen werden, etwa die Ichhaftigkeit des Leibes. Damit ist aber das Problem der Natur nicht gelöst. Vielmehr ist die Frage, inwiefern der Mensch Natur sei, eben keine Scheinfrage, kein Scheinproblem, das sich etwa aus den Konstruktionen von Metaphysik und Wissenschaft erst künstlich ergibt, sondern diese Frage speist sich aus konkreten Erfahrungen des Lebens, die Anlass zur Rede von der eigenen Natur geben. Dies sind, z.B. Erfahrungen im Bereich der Lebensvollzüge, wie das Atmen, oder der Kreatürlichkeit, wie das Krankwerden. (Thomas-Sns 140)

Fehlender Außenbezug der Leibphänomenologie

Phänomen und Situation werden erfasst durch den Leib, den wir nach Schmitz im eigenleiblichen Spüren erleben. Gerade diese Position der Schmitzschen Philosophie sieht sich einer heftigen Kritik ausgesetzt, die im Vorwurf gipfelt, den cartesischen Dualismus nicht überwunden zu haben und ihr daher letztlich ein totales Scheitern unterstellt. Diese Kritik wird von Bernhard Waldenfels vorgetragen, der behauptet, dass Schmitz mit dem Spürens-Begriff sich auf eine Rede einlasse, die immer schon einen Außenbezug enthalte und mithin die angestrebte Innendimension nolens volens bereits verlasse, bevor sie zur intendierten Innenaussage gelange. (AB-BuB 85)

Essentialistische Leibphänomenologie

Ein häufig zu vernehmender Einwand gegen die Neue Phänomenologie bezieht sich insbesondere auf die Konzeption der Leiblichkeit und besteht in der Annahme, der Leib werde von Schmitz als unhintergehbare Natur aufgefasst, sei "rein bei sich selbst" (Waldenfels) und in seiner Unmittelbarkeit ein unverfügbares Letztes. Dass diese Konzeption der Leiblichkeit in der Schmitzschen Philosophie in einen Essentialismus münde, ist Teil jenes unhaltbaren Vorurteils, das den Kern der Schmitzschen Leibkonzeption übersieht. Dieser besteht in einer Vorrangstellung der leiblichen Kommunikation, die sich keineswegs nur auf das unmittelbare "Spüren am isolierten eigenen Leib" (WNP 411) beschränkt. Schmitz fasst den Leib vielmehr von einer dialogischen Dynamik ausgehend auf und bindet ihn durch die Infragestellung des Innenweltdogmas radikal in die umgebende Äußerlichkeit ein. Von einer unhintergehbaren, letzten Natur kann angesichts dessen keineswegs die Rede sein. Im Gegenteil, es kann nicht hinreichend betont werden, dass Leiblichkeit in der Konzeption von Schmitz von vornherein als Äußerlicheit und bis in das eigenleibliche Spüren hinein als ein dialogisches Prinzip und ein latentes Mitschwingen in der Korrespondenz zur Umgebung verstanden wird. Mit dem Begriff Leiblichkeit ist also keineswegs eine reine Natur aufgerufen, sondern eine dialogische Dynamik, die sich als 'Gewoge' in der Oszillation ihrer Elemente und der der äußeren Umgebung aufrecht erhält. Subjektivität generiert sich durch diese Oszillation, durch dieses Gewoge der leiblichen Kommunikation zwischen Engung und Weitung und hebt sich ... aus dem chaotisch Mannigfaltigem ab. (A-SdE 275)

Leibliche Relevanz der Begrenzungserfahrung des eigenen Körpers

Diese Innovation verleitet Schmitz offensichtlich dazu, das taktile Moment der Doppelempfindung als in jedem Falle untaugliches, weil vom Rückfall in den Dualismus gefährdetes Mittel der Selbstwahrnehmung anzusehen. Dies trifft jedoch nicht zu, wie Fuchs' Hinweis auf die Konstitution des Körperschemas zeigt: Erst die Begrenzungserfahrung des eigenen Körpers, die eine im Vorgang der Geburt erfahrbare ist und die man daher als natal-postnatale bezeichnen kann, geht mit dem Erschrecken über die Trennung von Körper und Leib einher, die unmittelbar aufgehoben und integriert wird in der Vorstellung des Körperschemas, das die bereits pränatal entstandene Leibvorstellung auf höher differenziertem Niveau fortsetzt, in dem es zu einer "Verleiblichung des Körpers" kommt. (AB-BuB 254)

Umgang mit Hitler und dem Nationalsozialismus

Die Bezugnahmen auf Schmitz entbehren dabei in allen Fällen einer kritischen Reflexion der rassistischen und autoritären Tendenzen von dessen Position, die besonders virulent geworden sind in seinem Buch Adolf Hitler in der Geschichte. (Steineck 2007, 13 Fußnote 2)

Durchaus affirmativ bezieht er [Hermann Schmitz] sich dabei auf Paul Natorps, so Schmitz, von aggressiven Zügen freigehaltenen "reinen Nationalsozialismus", wobei jedoch in Schmitz' Darstellung die Abgrenzung zum realen Nationalsozialismus häufig erschreckend schwammig ausfällt; die Lektüre von Schmitz' Hitler-Buch streift und überschreitet immer wieder die Grenze des Erträglichen, insbesondere wo er seitenlang in affirmativem Sprachgestus Sympathien zu hegen scheint. Die Grenze des Erträglichen wird insbesondere überschritten, wo Schmitz das Wort "Holocaust" für die "Materialschlachten des ersten Weltkrieges" verwendet, während es als Inbegriff der nationalsozialistischen Judenvernichtung im gesamten Buch nicht einmal Erwähnung findet, zu schweigen von "Shoah" oder "Auschwitz" als alternativen Bezeichnungen. Dazu passt der haarsträubende Euphemismus, wonach "das deutsche Volk mit der Idee der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, der es zeitweise verfiel, schlechte Erfahrungen gemacht" habe. Mit solchen Sätzen stellt sich Schmitz in die alles andere als ruhmreiche Reihe politisch obskurer Vertreter deutscher Phänomenologie. Als sei dies noch nicht genug bezieht Schmitz sich des weiteren, vergleichsweise skurril, auf die Perspektive eines "neuen Christentums" im Gefolge von Novalis Die Christenheit oder Europa, wobei er meint, dass sich mit Novalis "das berechtigte Desiderat der Gegenaufklärung" anmelde nämlich: "die Überwindung der Zersetzung, der solche Situationen (i.e.: umfassend implantierende gemeinsame Situationen) in der modernen Aufklärung als einem Gipfel der autistischen Verfehlung des abendländischen Geistes verfallen sind." Am Schluss des Buches phantasiert er von der "Wiedervereinigung des römischen Reiches", für die seiner Neuen Phänomenologie eine erhebliche Bedeutung zukommen soll; jene Wiedervereinigung soll darin bestehen, dass "der auf dem Boden des weströmischen Reiches entsprungene, explosiv sich überschlagende Fortschrittsdrang an der still beharrenden Fülle des oströmischen Erbes" sich sättigen möge, ohne zu verlöschen.

Hat sich die neue Phänomenologie damit erledigt? Das Hitler-Buch lässt sich nicht als Entgleisung eines sich verkannt wähnenden Professors entschuldigen, denn Andeutungen ähnlicher Positionen finden sich bereits im System der Philosophie. Dieses führt Individuelles und Allgemeines zusammen, indem Schmitz vom Selbst bzw. der Persönlichkeit als "persönlicher Situation" spricht, welche aus der umfassenden gemeinsamen Situation "hervorwachsen" soll. Nachdem "Individualismus" inzwischen allgemein, selbst unter den Verfechtern philosophischer Lebenskunst wenn nicht zum Schimpfwort geworden, so doch mit Distanz bedacht wird und die Rehabilitation von "Gemeinschaft" auch in Deutschland fortgeschritten ist, ist Schmitz' Position durch das Ausmaß ausgezeichnet, in dem unter einem dürftigen Schleier der Kritik sich revisionistische Affirmation des Nationalsozialismus kundgibt. ( Heubel 45f)

Schmitz ignoriert die Tatsache, dass der Nationalsozialismus nur durch massive und aggressive Ausgrenzung "aus der Masse Volk schuf", indem er tatsächlich damit ernst machte, Menschenrechte "allen Menschen, aber nur im eigenen Volk" zu gewähren und Gemeinschaft an Volkstum und Rasse band. Am Nationalsozialismus erweist sich allemal die Borniertheit der von Schmitz ob ihrer Toleranz gegenüber Konflikten und Widersprüchen empfohlenen "implantierenden Situationen", die, sei es als Tradition, Familie, Nation oder Muttersprache sich bildet, indem sie sich gegen Anderes, Fremdes abgrenzt. (Heubel 47)

Ich gehe davon aus, dass der ideologische Missbrauch des Begriffs Situation im Hitler-Buch jenem nicht äußerlich ist, vielmehr auf dessen inhärente Probleme verweist, mehr noch auf schwerwiegende Mängel der Neuen Phänomenologie insgesamt. (Heubel 48)

Im Hitler-Buch zeigt sich allerdings eine deutliche Unausgewogenheit der Momente, indem Schmitz unentwegt die Dringlichkeit implantierender Situationen beschwört, kaum jedoch auf die Notwendigkeit der Fähigkeit hinweist, sich aus deren Verstrickung auch zu distanzieren. Dieser Aspekt wird sogleich der situationale Ganzheiten zersetzenden Aufklärung zugeschoben. Der aufklärungsfeindliche Gestus des Hitler-Buches mag in den früheren Büchern weniger offenbar sein, es ließe sich jedoch zeigen, dass jener als strukturelle Unausgewogenheit bereits in den leibphilosophischen Schlüsselbegriffen innewohnt. (Heubel 49f)

Schmitz und Adorno

Schmitz Theorie des Leibes steht vor der Aufgabe, zwischen der Beschränkung der Wahrnehmung auf Sinnesreize und den Fallstricken der Seelenvorstellung hindurchzusteuern. Vor einer sehr ähnlichen Aufgabe stand Adorno als er seine doppelte Kritik an Positivismus und Ontologie der Innerlichkeit formulierte. Schmitz' Kritik an der sensualistischen Reduktion korrespondiert mit Adornos Widerspruch gegen den positivistischen Begriff der Erfahrung als "gegängelter Erfahrung", im Gegensatz zur "lebendiger Erfahrung", in welcher unverhohlen der Wunsch nach Erweiterung verkürzter Erfahrung mitschwingt. (Heubel 42)

In einer theoretischen Bewegung, die an das Odysseus-Kapitel der Dialektik der Aufklärung denken lässt, wird die Zersetzung von Subjekt und Objekt gleichmermaßen unterlegten Situation und die Zerschlagung ganzheitlicher, vielsagender Eindrücke in jedem Aufklärungsschub aufgesucht, der frühesten Ausdruck in Homers Odyssee fand und später in Demokrit und Platon zu einem vorläufigen Höhepunkt gelangt sein soll. (Heubel 43)