Halbding

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Wie glatt und langweilig wäre die Welt ohne Halbdinge? (S-WNP 15)

Die Wahrnehmung von Halbdingen ist Einleibung. (S-H 100)

Halbdinge und die Erfindung von Dingen

Deshalb gehört es zur Selbstbehauptung des planenden Menschen, die Halbdinge in die Welt der Dinge einzubinden und geeignete Dinge notfalls zu erfinden, wie die Luft, den elektrischen Strom, das Schwerefeld. (S-WNP 105)

Die Naturwissenschaft ersetzt die Kausalität der Halbdinge allerdings durch die der Dinge, indem sie z.B. zum Wind bewegte Luft, zur reißenden Schwere ein Schwerefeld der Erde, zum elektrischen Schlag elektrischen Strom als schlagenden Arm, zum Schmerz schmerzende Körperteile (Nervenzellen und ihre Verbindungen) hinzusetzt. (S-WNP 22)

Erfunden wird:

Zwischen Sinnesdaten und Dingen

Halbdinge und Dinge

Halbdinge unterscheiden sich nach meiner Definition von Dingen ("Volldingen", z.B. Körper) durch

  • inkonstante Dauer, unterbrechbare Dauer:
  • zweigliedrige Kausalität (wobei Ursache und Einwirkung zusammenfallen) (Vgl: S-WNP 198), d.h. unmittelbare Kausalität ohne Unterscheidung von Ursache und Einwirkung:

Inkonstante Dauer

Halbdinge kommen, verschwinden und kommen wieder, ohne dass es Sinn hat, zu fragen, wo und wie sie sich in der Zwischenzeit befunden haben. (S-WNP 14)

Zweigliedrige Kausalität

Während die Kausalität der Dinge dreigliedrig ist: Ursache-Einwirkung-Effekt (z.B. fallender Stein-Stoß-Verrückung oder Zertrümmerung des gestoßenen Gegenstandes), fallen beim Halbding Ursache und Einwirkung zusammen, wodurch Halbdinge eine spezifische Unmittelbarkeit oder Zudringlichkeit ihres Einwirkens gewinnen. (S-WNP 14)

Halbdinge und Sinnesdaten

Im Gegensatz zu Sinnesdaten (Qualitäten, Empfindungen) haben Halbdinge einen im Wechsel ihrer Gesichter beharrenden Charakter wie die Dinge. (Vgl: S-WNP 14)

Halbdinge und Tropen

„Halb-dinge“ nennt Schmitz partikularisierte Eigenschaften wie „reißende Schwere“, die in der analytischen Ontologie Tropen heißen. (GK-NPG)

Beispiele

  • Atmosphäre
  • Gefühle
  • Leib
  • die Stimme
  • rhythmische Geräusche, wie das Tropfen des Wasserhahns, das den Schlafwilligen nicht zur Ruhe kommen lässt
  • musikalische Figuren und Melodien

Solche Halbdinge sind

  • der Wind, der mich (fast) umwirft,
  • die reißende Schwere, die mich im Sturz und im Ausgleiten abwärts zieht,
  • der Schmerz, der mich quälend zur Auseinandersetzung zwingt,
  • die Melodie oder das Problem, die mir nicht aus dem Kopf gehen wollen,
  • die Zeit, wenn sie in Langeweile oder gespannter Erwartung unerträglich lang wird,
  • ein Gefühl, das wie der Zorn über mich kommt und mich mitreißt. (S-DRdN 115)

Melodie

[H]ier handelt es sich um unmittelbares "Einfließen" der Melodie über die Brücken der Bewegungssuggestionen und synästhetischen Charaktere in den hörbaren Leib. Die Melodie ist kein abstraktes Objekt, weder eine Gattung von Tonfolgen noch eine bloße Struktur (obwohl an eine solche gebunden), sondern ein Konkretum, direkt hörbar als "dieselbe" Melodie auch bei Transposition in andere Tonarten, Stimmlagen und Klangfarben, wobei eventuell kein Ton gleich bleibt (...). Man kann aber genau so wenig sagen, dass diese selbe Melodie im Augenblick des jeweiligen Hörens erst entstünde, wie auch, dass sie irgendwo bereitliege, gleichsam im Winterschlaf zwischen zwei Phasen ihres Erschallens. Inkonstante Dauer gibt es so gut wie konstante. (S-WNP 198)

Reißende Schwere

Die reißende Schwere beim drohenden oder geschehenen Sturz tritt ein und verschwindet, ohne in den Zwischenzeiten irgendwo zu sein, und wirk als eingreifende fremde Macht im Leib unmittelbar richtunggebend, ohne als Ursache hinter einer davon verschiedenen Einwirkung zu stehen, wie der fallende Stein hinter dem Stoß. (Vgl: S-WNP 183)

Weitere Beispiele

Beispiele: die Stimme, der Blick, die reißende Schwere, wenn man stürzt oder sich gerade noch fängt, der elektrische Schlag (zu dem erst die Physik elektrischen Strom als schlagenden Arm konstruiert), der Wind, schneidende Kälte, brütende Hitze, brütende oder drückende oder lastende Stille, die Gefühle (als ergreifende Atmosphären), der Schmerz (mit dem man sich auseinandersetzen muss, so dass man nicht in ihm aufgehen kann wie in panischer Angst, die ebenso peinlich ist), Melodien und andere Figuren der Musik, störender Lärm wie ein anhaltender Pfiff oder das rhythmische Tropfen des Wasserhahns, das am Einschlafen hindert, die Nacht und die Zeit, wenn sie in Langeweile oder gespannter Erwartung quälend aufdringlich wird. (S-WNP 14f)

Begriffsentstehung

Die erste Anregung zur Konzeption der Halbdinge, die aber erste Jahrzehnte später Form annahm, kam mir aus Sartres Ausführungen über le mal, das in wiederkehrenden Schmerzattacken sich manifestierende chronische Leiden eines Kranken. (S-WNP 15)

Sartre scheint als Erster erkannt und feinsinnig herausgearbeitet zu haben, dass es sich um einen Gegenstand eigener Art handelt, der, wenn er dem Betroffenen einmal vertraut geworden ist, diesem als geschlossenes Ganzes begegnet und von der Serie der Symptome unterschieden werden muss. (S-III5 122)