Erfahrung

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Etwas erfahren können wir immer nur subjektiv-leiblich; erst wenn von der Erfahrung abstrahieren, kommen wir zu den 'objektiven', die Wirklichkeit konstituierenden Daten der Wissenschaft. (GR-LuS 63)

Elemente der Erfahrung

Wiederholung

  • Erfahrung erwirbt man durch Wiederholung.

Situationen

Die synästhetische und sensomotorische Einheit der Erfahrung erlaubt es, komplexe Situationen holistisch zu erfassen: ihre Färbung, Stimmung, Atmosphäre und Bedeutsamkeit. So entwickelt der Erfahrene schließlich einen "siebten Sinn", ein Gespür oder Vorgefühl, eine intuitive Wahrnehmung von Situationen. (F-LuL 249)

leibliche Erfahrungen

  • Situationen, in den Erfahrungen gemacht werden, sind auf den Leib zentriert: Der Erfahrene bewegt sich nicht im abstrahierten Raum der Landkarte, sondern im Raum der "Landschaft", strukturiert durch leibliche Richtungen, rechts und links, hier und dort, Nähe und Ferne, Zentrum und Horizont.

Siehe auch: Widerstands-Erfahrung

Präreflexive Erfahrungen

Wir sahen, dass er Leib die Bedingung unseres In-der-Welt-Seins ist, als solcher prägt er das Feld präreflexiver Erfahrungen. (BB-MPK 280)

Der Wahrnehmung entspricht eine Welt, die kein Objekt ist, sondern das Feld all unserer Gedanken und ausdrücklichen Wahrnehmungen. (Waldenfels, in: BB-MPK 280)

Erfahren als Tätigkeit

  • Erfahren ist eine Tätigkeit, weil Wahrnehmung und Eigenbewegung zusammengehört

Erfahren als Erleiden

  • Erfahren bedeutet auch ein Erleiden.

Mit etwas, sei es ein Ding, ein Mensch, ein Gott, eine Erfahrung machen heißt, dass es uns widerfährt, dass es uns trifft, über uns kommt, uns umwirft und verwandelt. Die Rede vom 'machen' meint in dieser Wendung gerade nicht, dass wir die Erfahrung durch uns bewerkstelligen; machen heisst hier: durchmachen, erleiden, das uns Treffende (vernehmend) empfangen, (annehmen,) insofern wir uns ihm fügen. (Heidegger: Untewegs zur Sprache, Pfullingen 1990, S. 159. Zit.n.: Wimmer in AE-GfA 120)

Erfahren von Gestalten

  • Der Erfahrene entwickelt einen besonderen Sinn für Charakter, Stil und Physiognomie seines Gegenstandes.

Erfahrungen(en) sind gelebte Ähnlichkeiten. Kein größerer Irrtum, als Erfahrung im Sinne der Lebenserfahrung nach dem Schema derjenigen konstruieren zu wollen, die den exakten Naturwissenschaften zugrundeliegt. Nicht die im Lauf der Zeiten festgestellten Kausalverknüpfungen, sondern die Ähnlichkeiten, die gelebt wurden, sind hier maßgebend. (Walter Benjamin, aus F-LuL 246)

Erfahrung als implizites Wissen

  • Das Wahrnehmen, Wissen und Können des Erfahrenen ist immer nur unvollständig in Worte zu fassen. Als "implizites Wissen" aktualisiert es sich im praktischen Vollzug. Erfahrung kann nur durch Vorbild gelehrt und durch Nachahmung erlernt werden.

(Vgl. F-LuL 242f)

Verlust der Erfahrung

Entsinnlichung

(1) Als Entsinnlichung lässt sich ein Prozess bezeichnen, in dessen Verlauf unmittelbare Erfahrungen durch vermittelte ersetzt werden, in dem synästhetische Wahrnehmungen schwinden und der leibliche Kontakt mit der Wirklichkeit verlorengeht. Die Welt büßt damit ihren sinnlichen, leibhaftigen Charakter ein und wird schemenhafter. (F-LuL 253f)

Bilderflut

(2) Ebenso schwindet authentische Erfahrung in dem Maß, wie uns die Welt als Bild zubereichtet, ja unter ihren medialen Abbildern zum Verschwinden gebracht wird. Wir leben in einer Gesellschaft, die wie keine vor ihr von Bildern überflutet ist. Sie vermögen unseren Blick zu bannen, die Wahrnehmung hypnotisch abzusättigen und uns aus der leiblichen Gegenwart zu entführen. (F-LuL 253f)

Szientistisches Infragestellen der Lebenswelt

(3) Schließlich geht eine wesentliche Gefährdung der Erfahrung von der szientistischen Infragestellung der Lebenswelt aus. Die naturwissenschaftliche Mechanisierung, Atomisierung, schließlich Digitalisierung des Weltbildes bedeutet letztlich die Zerlegung lebendiger Bewegungen, wahrgenommener Gestalten und intuitiv-ganzheitlicher Erfahrungen in Einzelmomenten. (F-LuL 253f)

Folgen: Verlust persönlicher Autorität

Denn wer keine authentischen Erfahrungen mehr macht, verliert das Vertrauen in seine eigenen, intuitiven Kompetenzen und wird abhängig von Experten, Ratgebern, Statistiken, Apparaten. Er entwickelt nicht die nötige Ausdauer und Frustrationstoleranz, um angesichts von Widerständen und Rückschlägen beharrlich zu bleiben, und wird letztlich lebensuntüchtig. (F-LuL 256)

Erfahrung als naturwissenschaftliche Empirie

Siehe: Naturwissenschaftlicher Erfahrungsbegriff